Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
nicht hier in Rom säße, sondern in Judäa und dort von einer Schlappe der Römer hörte, dann könnte ich nicht für mich einstehen. Ich weiß natürlich mathematisch sicher, daß eine solche Schlappe am Ausgang des Krieges nichts ändern würde; ich habe es am eigenen Leib zu spüren bekommen, wohin ein solcher Aufstand führt. Jung bin ich auch nicht mehr. Und trotzdem, mich selber reißt es, loszugehen, loszuschlagen. Ich sage euch: die ›Eiferer des Tages‹ werden nicht stillhalten.«
Johanns Worte rührten die andern an. »Was können wir tun, sie zu ernüchtern?« unterbrach Justus das Schweigen. Er sprach mit kalter, beinahe anstößiger Schärfe; doch die Ernsthaftigkeit seiner Gesinnung, die Unbestechlichkeit seines Urteils hatte ihm Achtung erworben, und daß er teilgenommen hatte am jüdischen Krieg, daß er für Jerusalem am Kreuz gehangen war, bewies, daß es nicht Feigheit war, wenn er ein neues kriegerisches Unternehmen so verächtlich abtat.
»Man könnte vielleicht«, schlug behutsam Cajus Barzaarone vor, »dem Kaiser die Aufhebung der Kopfsteuer nahelegen. Man müßte ihm plausibel machen, daß es angezeigt wäre, in einer so kritischen Zeit die Gefühle der jüdischen Bevölkerung zu schonen. Vielleicht legt da unser Claudius Regin für uns Fürsprache ein.« Unter allen judenfeindlichen Maßnahmen nämlich erregte die Erhebung dieser Kopfsteuer am meisten Unwillen. Nicht nur war die Tatsache, daß die Römer jene Doppeldrachme, welche einstmals jeder Jude als Steuer für den Tempel in Jerusalem zu zinsen hatte, jetzt zur Erhaltung des Tempels des Capitolinischen Jupiter einzogen, eine bittere, höhnische Mahnung an die Niederlage, sondern es wurde auch die Eintragung in die Judenlisten, ihr öffentlicher Anschlag und die Einziehung der Steuer auf brutale und diffamierende Art vorgenommen.
»Es verlangt heute einigen Mut, meine Herren«, sagte nach einem kleinen Schweigen Claudius Regin, »zu zeigen, daß man mit Ihnen sympathisiert. Trotzdem würde ich vielleicht diese Kühnheit aufbringen und dem Kaiser die Anregung unseres Cajus Barzaarone unterbreiten. Aber glauben Sie nicht, daß DDD, wenn er sich wirklich zum Verzicht auf die Doppeldrachme entschließen sollte, dafür eine ungeheure Gegenleistung fordern würde? Er würde im besten Fall als Gegenleistung eine Sondersteuer ausschreiben, die für Ihre Gefühle weniger empfindlich wäre, für Ihre Kasse aber um so mehr. Ich weiß nicht, mein Cajus Barzaarone, ob Sie den weiteren Besitz Ihrer Möbelfabrik oder die Befreiung von der Judensteuer vorziehen. Ich für mein Teil würde lieber ein bißchen Kränkung einstecken und dafür mein Geld behalten. Ein reicher Jude, auch gekränkt, hat immer noch etwas Macht und Einfluß, ein armer Jude, auch ungekränkt, ist gar nichts.«
Justus tat die platten Weisheiten des Claudius Regin und die undurchführbaren Anregungen des Cajus Barzaarone mit einer kleinen Handbewegung ab. »Was wir tun können«, sagte er, »ist verdammt wenig. Wir können Worte machen, nichts sonst. Das ist armselig, ich weiß es. Aber wenn die Worte sehr klug berechnet sind, wirken sie vielleicht dennoch. Ich habe Doktor Josef nahegelegt, ein Manifest abzufassen.« Alle schauten auf Josef. Der schwieg und regte sich nicht; er spürte hinter den Worten des Justus einen leisen, kratzenden Hohn. »Und haben Sie ein Sendschreiben abgefaßt?« fragte schließlich Johann.
Josef nahm aus dem Ärmel seines Gewandes das Manuskript und las es vor. »Es ist ein wirkungsvolles Manifest«, sagte, als er zu Ende war, Justus, und außer Josef hörte kaum einer den Hohn dieser Anmerkung. »Auf die ›Eiferer des Tages‹ wird es wenig Wirkung tun«, meinte Johann. »Die ›Eiferer des Tages‹ kann nichts zurückhalten«, gab Justus zu, »und die um den Großdoktor brauchen keine Mahnung. Aber es gibt Leute zwischen beiden Lagern, es gibt Schwankende, und die werden sich vielleicht bestimmen lassen von uns, die wir hier in Rom leben und die Lage besser beurteilen. Einige Wirkung wird das Schriftstück tun«, beharrte er. Er hatte beinahe heftig gesprochen, als wollte er nicht nur die andern, sondern auch sich selber überzeugen. Nun aber erschlaffte er und, trüb, setzte er hinzu: »Und dann, etwas müssen wir tun, schon unserthalb. Frißt es euch nicht das Herz ab, dazuhocken und zuzuschauen, wie die andern ins Unglück rennen?« Er dachte daran, wie er damals, vor und zu Beginn des Krieges, vergeblich gewarnt hatte.
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