Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
legten ihn an den Rand der Straße, unter einen gelben Strauch, so, daß sein Gesicht im Schatten lag. Dann ritten sie weg.
Es war aber die Gegend, in der dieses geschah, ein Hochpla teau, öde, nur mit wenig Sträuchern bestanden, doch jetzt, im Frühjahr, trugen diese Sträucher gelbe Blüten. Da lag Josef in einer hellen, milden Sonne, und mit verschwimmenden Sinnen nahm er die gelbgesprenkelte Wüste und die milde, fröhliche Sonne in sich auf.
Der Josef, der nach Rom gekommen war, um Rom und die Welt mit jüdischem Geiste zu durchdringen,
Der Josef, der den Feldherrn Vespasian als Messias begrüßt hatte,
Der Josef, der die Kriegsgefangene Mara, die Hure des Vespasian, geheiratet hatte und später die ägyptische Griechin Dorion,
Der Josef, der als jüdischer Führer in Galiläa gekämpft und dann vom römischen Lager aus mitangesehen hatte, wie Jerusalem und der Tempel verbrannten,
Der Josef, der Zeuge gewesen war, wie Titus triumphiert hatte, und der sich gebeugt hatte unter dem Joch seines Triumphbogens,
Der Josef, der das streitbare Makkabäerbuch geschrieben hatte und den höfisch konzilianten »Jüdischen Krieg« und die kosmopolitisch laue Universalgeschichte und den patriotisch glühenden »Apion«,
Der Josef, der vergebens um seinen Sohn Paulus gerungen hatte und der die Ursache gewesen war, daß sein Sohn Simeon umkam und sein Sohn Matthias,
Der Josef, der vom Tische dreier Kaiser gegessen hatte und vom Tisch der Prinzessin Berenike und des Großdoktors Gamaliel und des gewalttätigen Akawja,
Der Josef, der die Weisheit der jüdischen Schriften studiert hatte, der Doktoren, der Griechen und der Römer, der immer wieder gestoßen war auf den letzten Schluß des Kohelet, daß alles eitel sei, und der doch niemals danach gehandelt hatte.
Dieser Josef Ben Matthias, Priester der Ersten Reihe, dem Erdkreis bekannt als Flavius Josephus, lag jetzt auf der Böschung, das Gesicht und den weißen Bart besudelt mit Blut, Staub, Kot und Speichel, veratmend. Das ganze kahle, gelbgesprenkelte Bergland ringsum und der helle Himmel gehörten jetzt ihm allein, die Berge, die Täler, der ferne See, der reine Horizont mit dem einsamen Raubvogel waren nur seinetwillen da und nichts als der Rahmen seines Innern. Das ganze Land war erfüllt von seinem verdämmernden Leben, und er war eins mit dem Land. Das Land holte ihn, und er suchte es. Er hatte die Welt gesucht, aber gefunden hatte er nur sein Land; denn er hatte die Welt zu früh gesucht. Der Tag war da. Es war ein anderer Tag, als er ihn geträumt hatte, aber er war es zufrieden.
Als Wochen vergingen, ohne daß von Josef Nachricht eintraf, wandte sich Mara an den Gouverneur in Cäsarea und an den Großdoktor in Jabne.
Die römischen Behörden bemühten sich ernstlich, es ging um einen Angehörigen des Zweiten Adels, den Rom und sein Hof kannten. Auch der erschrockene Gamaliel tat alles, um Josef aufzufinden. Man schrieb hohe Belohnungen aus für den, der ihn lebendig oder tot beibrächte. Allein man konnte nur ermitteln, daß er zuletzt in Esdraela gesehen worden war; von da an verlor sich jede Spur. Es war schwierig, in dem vom Krieg heimgesuchten Gebiet einen Mann zu entdecken, der verlorengegangen war, es gab Zehntausende von Leichen nach diesem Aufstand.
Ein Monat verging, Pfingsten kam heran, das Pfingsten, von dem die Männer am Tische des Doktors Akawja geträumt hatten, doch es war ein blutiges Pfingsten für Judäa. Und es kam der heiße Monat Tamus, und es jährte sich der Tag, da die Belagerung Jerusalems begonnen hatte, und es kam der Monat Ab, und es jährte sich der Tag, da Jerusalem und der Tempel verbrannt waren. Und noch immer fand sich keine Spur von Josef Ben Matthias, den die Römer Flavius Josephus nannten. Man mußte ihn wohl verloren geben, und Gamaliel mußte darauf verzichten, den größten Schriftsteller, den die Judenheit dieses Jahrhunderts besessen, würdig zu bestatten.
Da sagten die Doktoren: »Wie es heißt von Moses, unserem Lehrer: ›Und niemand hat sein Grab erkundet bis auf diesen heutigen Tag.‹« Und alle erkannten, daß dem Josef als Denkmal sein Werk bestimmt war und kein anderes.
N ACHBEMERKUNG
Der Entstehungsprozeß der »Josephus«-Trilogie ist durch die Zeitereignisse mehrfach unterbrochen worden; er ist in auffälliger Weise verbunden mit dem des »Wartesaal«-Zyklus, bedingt durch Feuchtwangers ständiges Bestreben, die »ungeheure, blutige
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