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Jud Sueß

Jud Sueß

Titel: Jud Sueß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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schwere Mann umständlich in die Kutsche stieg, stand sie in der liebenswürdigen Sicherheit der an Bewunderung gewöhnten Frau, schwatzte gleitend, freundlich, lächelte, winkte. Noch als sie sich wandte, die Stufen zu dem blauen Kabinett hinaufstieg, war Schritt und Haltung leicht, elastisch. Dort erst entspannte sie sich, die Schultern fielen, Arme, Hände hingen kraftlos, der Mund stand halb auf, das Gesicht erschlaffte jäh und erschreckend.
    Aus, es war also aus. Sie hatte geschickt laviert, er hatte nicht zu sprechen gewagt, aber es war ja klar, es lag zutage, mit der Absicht, ihr aufzusagen, war er gekommen, und wenn ihm auch das entscheidende Wort steckengeblieben war, seine verlegene Höflichkeit sprach deutlich, war hundertmal schlimmer als gelegentlich früher Geraunz oder Zornausbruch oder beleidigtes Schweigen.
    Sie saß schlaff, sie war so müde und ausgehöhlt; die gefaßt liebenswürdige Haltung, der elegische Hauch darüber, während ihr Herz tobte, fluchte, geiferte, diese Gefaßtheit war so aufreibend gewesen. Jetzt saß sie betäubt, in einer entsetzlichen Art bis zur Lähmung ausgeschöpft, auf dem niedern, breiten Lager. Puder und Schminke auf ihrem Antlitz klaffte, das heitere Feuer, das sie in ihren großen Augen angezündet, losch hin, der mächtige gestickte Atlasrock hing in toten Falten, und unter der kunstvollen, mit kleinen Rubinen besetzten Sbernia – sie hatte die Mode aufgebracht, und sogar in Versailles ahmte man sie nach –, unter der kunstvollen Sbernia verlor selbst das fröhliche, nußbraune Haar seine sorglose Frische.
    Aus also. Und warum? Der Preußenkönig hatte gebohrt, der Hund, der schäbige, mit seinem schalen Geschwätz von Pflicht und Blödsinn. Ihr Bruder hatte gehetzt, der Intrigant, der verfluchte, tückische, eiskalte. Er brauchte sie nicht mehr, seine Stellung beim Herzog war fest genug; es war klüger, sie abzuschütteln, ehe er in ihren Sturz hineinverwickelt würde. Sie war ein Hindernis, kostete Rücksichten in der Politik gegen den Kaiserhof, kostete Geld, viel Geld, das man ohne den Umweg über sie bequemer und reichlicher in die eigenen Kassen lenken konnte. Oh, wie sie ihn durchschaute, den Rechner, den hundsföttischen. Pfui, pfui, pfui! Aber sie wollte es ihm heimzahlen. Noch stand sie, lebte sie, der Herzog hatte noch nicht gesprochen, noch regierte sie, sie, sie im Land. Aber das alles konnten für den Herzog keine Gründe gewesen sein. Sie hatte ganz andere Stürme bestanden. Sie hatte den Kaiser, das ganze Reich, Volk und Landschaft und Konsistorium zu Gegnern gehabt und hatte geatmet und war gestanden. Ihr Bruder! Der Preußenkönig! Bah, das waren keine Gründe. Und sie sah den wahren Grund auf sich zukriechen, sah ihn schleimig ihre Gedanken umklammern, wußte ihn und wußte ihn nicht, schlug wie die Raupe an der Nadel dagegen, daß er aus dunklem Gefühl Bewußtsein werde. Ihr Blick suchte den Spiegel, mied ihn. Sie sank, dieschwere Frau, noch hilflos tiefer in sich zusammen, ein Haufe schlaffen Fleisches in den prunkenden Stoffen.
    »Auf deiner Stirne wohnt
    Minerva hoch in Ehre,
    In deinem Auge Zeus,
    In deinem Haar Cythere«,
    so hatte der Hofpoet gesungen, vor dreißig Jahren. Sie brauchte keinen Spiegel, sie wußte den Grund.
    Sie stöhnte, lehnte vornüber, die Augen geschlossen, die Hand nach dem Herzen. Luft! Luft! Ihr Asthma preßte sie. Erholt, raffte sie sich auf, raste durchs Haus, befahl, widerrief, ohrfeigte die Zofe, schrie, sandte Kuriere nach allen Richtungen.
    Noch war sie da. Man sollte sehen, daß sie noch da war. Er hatte nicht gesprochen. Das hatte sie verhindert, glücklicherweise. Sie hatte sich gezähmt. Übermenschlich war es gewesen, so an sich halten, aber sie hatte es gekonnt. Und jetzt hatte er nicht gesprochen, ah!, und jetzt mußten sie ihren schmutzigen Jubel noch zurückhalten in ihren Därmen, und jetzt war sie noch da und wird es zeigen, wie sie da war.
    Sie hatte zuverlässige Korrespondenten um den Herzog. Eberhard Ludwig war noch immer in Neßlach, in seinem Jagdschloß. Das war gut, sehr gut war das. Sie erhielt täglichen Bericht. Täglich ritt ihr Kurier von Neßlach nach Wildbad. Um jede kleinste Anordnung des Herzogs wußte sie, was er aß und trank, wann er zu Bett ging, jagte, tafelte, spazierenging. Er hatte nur die Ungarin um sich, und die nur im Tag eine halbe Stunde. Sonst sah er niemanden, niemanden von seinen Räten ließ er vor. Gut, gut. Er schämte sich wohl, daß er das Wort nicht gewagt

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