Jud Sueß
ihre Enttäuschung fiel nicht tief, als sich der ersehnte Umschwung verzögerte. Sie hatte so lange gewartet. Dreißig Jahre saß sie jetzt in dem kahlen Schlosse, in dem der Herzog ihr nur den nötigsten Hausrat belassen hatte, saß trübselig, verstaubt, eigensinnig, sauer, wartete. Wohl machten auch ihr die fremden Gesandten untertänige Besuche, aber sie wußte, es war langweilige Pflicht, und man zeichnete sie nur aus, wenn man mit dem Herzog brouilliert war, ihn ärgern wollte. Das Leben war drüben in Ludwigsburg, in der Stadt, die Eberhard Ludwig der Rivalin gebaut hatte, als sie, die Herzogin, verbissen in Stuttgart aushielt, Demütigungen, Drohungen nicht achtend. Das Leben war drüben in Ludwigsburg, wohin der Fürst seine Residenz verlegt hatte, wohin er die widerstrebenden Ämter, Kollegien, Konsistorium, Kirchenrat zwang. Dort hatte er für jene, für die Mecklenburgerin, die Mätresse, die Person, das prunkende Schloß gebaut, dorthin aus dem Stuttgarter Palais alle Kleinodien, Prunkmöbel schaffen lassen.
Johanna Elisabetha erinnerte sich der Mecklenburgerin – auch in Gedanken nicht nannte sie den Namen der Verfluchten – vom ersten Tag an. Sie hatte ihren Gatten in Liebe und Ehren gehalten, sie war stolz auf den Kriegshelden und Kavalier, sie wußte auch, daß sie nicht schön genug war für ihn, und verdachte es ihm nicht, wenn er mit ihren Hoffräulein herumscharmutzierte. Auch als sie ihm einen Sohn und eine Tochter gebar und man ihr andeutete, die Schwächlichkeit der Kinder rühre von dem wilden Leben des Herzogs her, trug sie es ihm nicht nach. Wie die Mecklenburgerin an den Hof kam – ihr Bruder hatte sie hergebracht, der intrigante Kuppler, um durch sie seinen Weg zu machen –, begriff sie zwar nicht, was viel an der Person sei, aber wenn Eberhard Ludwig sie wollte: sie hatte zu so vielem die Augen zugedrückt, sie gönnte sie ihm.Überdies hatte sich der Herzog zuerst gar nichts aus ihr gemacht, erst später bei einer Liebhaberaufführung, in der er mit ihr spielte, entzündete er sich. Sie sah noch die frechen, nackten Brüste, mit denen die Person in dem koketten Phyllis-Kostüm sich an ihn drängte. Und seither war kein Tag vergangen, daß die Person sie nicht angehaßt hätte. Sie hatte den Herzog mit Hexerei an sich gelockt, das war ja klar; sie hatte auch versucht, sie, die Herzogin, zu vergiften; daß ihr damals auf die Schokolade so schlecht geworden war, da war das Gift der Mecklenburgerin schuld, und nur eine gnädige Fügung hatte sie vor Schlimmerem bewahrt und sie von dem Kuchen nichts genießen lassen. Für jeden, der Augen hatte, lag es am Tag, daß sie eine verfluchte Hexe, Giftmischerin und Teufelsbuhle war. War sie nicht auch vor der Zeit eines blauschwarzen, behaarten, verschrumpften Wechselbalgs genesen?
Aber sie, die Herzogin, hatte sich durch keine Untat, Kränkung und Hexerei aus ihrem Rechte treiben lassen. Es war längst kein saftiger Haß mehr in ihr, es war ein trockenes, dürres, scheeles, pedantisches, verstaubtes Warten auf den Zusammenbruch der Person. So saß sie in dem weiten, ausgeleerten Schloß, trübselig, kahl, sauer, und die Nachrichten, die zu ihr kamen, verloren ihre Farbe und wurden breiig, zäh, spinnwebfarben wie sie selber.
Um jene Wochen ward im schwäbischen Kreis bald hier, bald dort der Ewige Jude gesehen. In Tübingen sagte man, er sei in einem Privatwagen durch die Stadt gefahren, andere wollten ihn auf der Landstraße gesehen haben, zu Fuß, in der Post, der Torschreiber von Weinsberg erzählte von einem seltsamen Fremden, der einen sonderbaren Namen angegeben und ein merkwürdiges Gewese gehabt habe; wie er aber weiter in ihn gedrungen sei um gehörige Legitimation, habe ihn der Unheimliche mit einem so höllischen Blick durch und durch geschaut, daß er in seiner Verwirrung von ihm abgelassen habe, und jetzt noch spüre er den Teufelsblick wie Reißen durch alle Glieder. Überall ging das Geraune, die Kinderwurden gewarnt vor dem Aug des Fremden, und Weil die Stadt, wo er in der Umgebung zuletzt gesehen worden, gab ihrer Torwache verschärfte Instruktionen.
Kurze Zeit später erschien er in Hall. Am Tor erklärte er kecklich, er sei Ahasverus, der Ewige Jude. Der Magistrat, sogleich beschickt, verordnete, man solle ihn vorderhand in der Vorstadt belassen. Ängstlich neugieriges Volk sammelte sich. Er sah aus wie häufig Hausierjuden, mit Kaftan und Schläfenlocken. Er erzählte bereitwillig, gurgelnd, oft unverständlich. Vor dem
Weitere Kostenlose Bücher