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Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me

Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me

Titel: Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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Siennas Tagebuch
    ich sollte damit anfangen, meinen namen zu nennen, obwohl er eigentlich nicht wichtig ist. namen sind nur etiketten, in die wir hineinwachsen. wir mögen sie hassen oder ändern wollen, aber irgendwann passen wir zu ihnen.
    als ich noch klein war, habe ich mich immer im wäschekorb versteckt, weil ich den geruch der arbeitskleidung meines vaters mochte und das gefühl hatte, ihm näher zu sein. er nannte mich immer sein »kleines rotkäppchen« und jagte mich wie ein wolf knurrend durchs zimmer, bis ich kichernd zusammenbrach. damals habe ich ihn geliebt.
    als ich elf war, nahm ich ein teppichmesser aus dem schuppen meines vaters, kniff eine hautfalte an meinem oberarm zusammen und ritzte sie auf. nicht sehr tief, aber tief genug, um eine weile zu bluten. ich weiß nicht, woher die idee kam, aber irgendwie gab es mir das, was ich brauchte. einen äußerlichen schmerz, der meinem inneren schmerz entsprach.
    ich ritze mich nicht oft. manchmal einmal pro woche, einmal im monat, einmal habe ich ein halbes jahr durchgehalten. ich ritze meine handgelenke und meine unterarme auf, weil die jacke meiner schuluniform die narben verdeckt.
    ein- oder zweimal habe ich zu tief geschnitten, doch ich habe es jedes mal geschafft, die wunde mit nadel und faden selbst wieder zu nähen. klingt wahrscheinlich schauerlich, aber es hat nicht sehr wehgetan, und ich habe die nadel vorher in kochendem wasser desinfiziert.
    wenn ich blute, fühle ich mich ruhig und klar im kopf. es ist, als würde das gift in mir austropfen. selbst nachdem ich aufgehört
habe zu bluten, taste ich liebevoll über die schnitte und gebe ihnen einen gutenachtkuss.
    manche sind schnitte in jungfräuliche haut. andere sind alte, wieder geöffnete wunden. rasierklingen und teppichmesser funktionieren am besten. schnell und sauber. messer sind plump, und mit nadeln fließt nicht genug blut.
    willst du wissen, warum? willst du wissen, warum jemand heimlich blutet? weil ich es verdiene. ich verdiene die strafe. ich bestrafe mich selbst. liebe ist schmerz und schmerz ist liebe, und die werden mich in der welt nie alleinlassen.
    jeder tropfen blut aus meinen adern ist ein beweis, dass ich lebe. jeder tropfen ist beweis, dass ich sterbe. jeder tropfen zieht das gift aus mir, rinnt über meine arme, rinnt über meine finger.
    du glaubst, ich wäre masochistisch.
    du glaubst, ich wäre selbstmordgefährdet.
    du glaubst, du kennst mich.
    du glaubst, du weißt noch, wie es war, vierzehn zu sein.
    du glaubst, du verstehst mich.
    tust du nicht.
    ich blute für dich.

1
    Wenn ich Ihnen nur eines über Liam Baker erzählen dürfte, wäre es dies: Als er achtzehn Jahre alt war, prügelte er ein Mädchen halbtot und machte sie zeitlebens zum Krüppel, gelähmt von der Hüfte abwärts. Und das nur, weil sie einen Eimer Popcorn über seinen Kopf gekippt hatte.
    Kein anderes Ereignis war für Liam auch nur annähernd so prägend wie dieses. Weder der Tod seiner Mutter noch seine Begegnung mit Gott noch die drei Jahre, die er in einer forensisch-psychiatrischen Klinik verbracht hat – wobei alles letztlich mit jenem Moment in der Warteschlange vor dem Kino zusammenhängt, als jäh der Zorn in ihn hineinfuhr.
    »Jener Ausraster« ist die Formulierung, die seine Psychiaterin gerade verwendet hat. Sie heißt Dr. Victoria Naparstek und sagt vor einem Mental Health Review Tribunal aus, einer Anhörungskommission, die über Liams mögliche Entlassung aus einer psychiatrischen Einrichtung entscheidet. Dr. Naparstek zählt seine Leistungen auf, als ob er vor seinem Universitätsabschluss stünde.
    Dr. Naparstek ist eine gut aussehende Frau, jünger, als ich erwartet habe; sie ist Mitte dreißig und hat honigblondes Haar, das sie zurückgekämmt und mit einer Spange aus Schildpatt festgesteckt hat. Einzelne Strähnen haben sich gelöst und rahmen ihr Gesicht ein, dessen Züge sonst elfenhaft und spitz wirken würden. Trotz ihres Nachnamens spricht sie mit einem Glasgower Akzent, aber nicht rau und guttural, sondern in einem schottischen Singsang, der sie fröhlich und unbeschwert klingen lässt, auch wenn die Freiheit eines Menschen verhandelt
wird. Ich frage mich, ob ihr bewusst ist, dass sie den Eindruck vermittelt, jemanden mit den Augen eher zu verschlingen als zu erfassen. Vielleicht bin ich unfair.
    Liam sitzt auf einem Stuhl neben ihr. Ich habe ihn seit vier Jahren nicht mehr gesehen, aber die Veränderung ist markant. Liam hat zugenommen und wirkt nicht mehr linkisch

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