Julia Ärzte zum Verlieben Band 47
Tochter loszulassen. „Liebes, bitte, sag es uns. Es schimpft auch niemand mit dir.“
Samantha fing an zu weinen. „Ich musste es tun. Du hast mich doch gezwungen, etwas zu essen. Ich bin so dick, und ich möchte doch hübsch sein.“
Emily zog sich das Herz zusammen. Hübsch zu sein, bedeutete mit fünfzehn alles. Sie selbst war nie hübsch gewesen, und sie erinnerte sich nur zu gut an die verletzenden Bemerkungen ihrer Mitschüler. Hey, Rotfuchs, mit dem Haar und den Sommersprossen kriegst du nie einen ab.
Und so war es auch gewesen. Die Jungen interessierten sich für andere Mädchen. Bis sie zur Universität ging, hatte sie keinen Freund gehabt. Der Erste und Einzige, der sich ihrer schließlich erbarmte, war Nathan gewesen.
Sie ertappte Linton dabei, wie er sie prüfend musterte. Um von sich abzulenken, tat sie, als müsse sie die Infusion überprüfen.
Linton wandte sich wieder Rachel zu. „Wir werden Samantha hierbehalten und ihren Elektrolythaushalt wieder in Ordnung bringen. Danach müssen wir überlegen, wie wir wegen der Anorexie weiter vorgehen. Es könnte sein, dass wir sie nach Sydney verlegen müssen.“
Rachel schüttelte den Kopf, als könne sie das alles nicht richtig fassen. „Mir war einfach nicht bewusst …“
Linton sah Mutter und Tochter voller Mitgefühl an. „Ich kümmere mich jetzt um die Einweisungsformalitäten, dann komme ich zu Ihnen zurück.“
„Jodie wird in der Nähe bleiben und auf Sie achtgeben. Drücken Sie die Klingel, wenn etwas sein sollte“, sagte Emily, berührte Rachel tröstend an der Schulter und folgte Linton hinaus. Verblüfft sah sie, dass er nicht zum Empfang, sondern in sein Büro ging.
„Schließen Sie die Tür“, befahl er, ohne sich umzudrehen, und knallte Samanthas Krankenakte auf seinen Schreibtisch. „Verdammt, das Kind ist kaum mehr als ein Skelett!“
Emily verstand seinen Ärger und die Frustration. In einem Land, in dem es Nahrung im Überfluss gab, hungerte sich ein junges Mädchen zu Tode. „Sie nimmt die Abführmittel bestimmt schon seit Monaten.“
Er ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Wie kommt sie nur darauf, dass mager schön ist? Daran ist der Schlankheitswahn unserer Gesellschaft schuld!“
Emily setzte sich auf die Schreibtischkante. „Ist das nicht zu einfach gedacht? Ich glaube eher, dass das Problem schon in der Familie beginnt.“
Linton blickte sie scharf an. „Wieso?“
Ihr Herz pochte schneller. Auf keinen Fall würde sie Linton von Nathan erzählen. Sie musste sich sachlich und professionell geben, damit gar nicht erst der Verdacht aufkam, dass sie aus persönlicher Erfahrung sprach.
„Während der Pubertät sind Teenager besonders empfindlich. Sie sind nicht mehr Kind, aber auch noch nicht erwachsen. So muss sich jemand fühlen, der keine Kontrolle über sein Leben hat. Wenn das Gefühl hinzukommt, hässlich zu sein, und jemand in der Familie oder ein Schulkamerad macht eine unbedachte Bemerkung, dann entwickeln sie eine Magersucht.“
„Eine einzige Bemerkung kann doch nicht solche Auswirkungen haben. Es muss schon die Absicht dahinterstecken, den anderen zu verletzen.“
„Studien belegen, dass manchmal eine Bemerkung ausreicht, die man sein Leben lang nicht mehr vergisst. Oder man muss sich immer wieder das Gleiche anhören, was schließlich nicht ohne Wirkung bleibt.“
Er bedachte sie mit einem mitfühlenden Blick. „War das bei Ihnen auch so?“
Emily geriet in Panik. Wenn sie jetzt Persönliches preisgab, würde sie über Nathan reden müssen, und das wollte sie auf keinen Fall.
Fieberhaft überlegte sie, wie sie den Kopf aus der Schlinge ziehen sollte. Vielleicht, wenn sie kurz über ihre Teenagerzeit sprach? Das könnte ihn von weiteren Fragen abhalten. Sie straffte die Schultern. „Mit fünfzehn wurde ich Siegerin bei einem zweifelhaften Wettbewerb, als es darum ging, wer von uns Mädchen als Letzte geküsst werden würde. Mein Dad hat mein Make-up konfisziert.“
Linton lächelte gezwungen. „Teenager kommen auf die albernsten Ideen, und Väter neigen dazu, übervorsichtig zu reagieren, wenn sie merken, dass ihre einzige Tochter erwachsen wird. Aber das wissen Sie bestimmt selbst.“
Emily bekam Gewissensbisse, weil sie ihm sein Mitgefühl mit einem schnippischen Kommentar gedankt hatte. Trotzdem setzte sie noch eins drauf. „Mein ältester Bruder wickelte mich in einen Wollsack, als er mich im Bikini beim Baden im Fluss
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