Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
…“
Evie öffnete die Augen und sah ihn an. „Was ist mit mir und Finn?“
„Seid ihr Kollegen? Freunde?“
Sie musste überlegen. Kollegen? Ja. Geliebte? Ja. Und bald Eltern ihres gemeinsamen Kindes. Aber Freunde …? „Das ist nicht so einfach“, antwortete sie schließlich.
„Finn ist kein einfacher Mensch.“
Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts! dachte sie. „Kennst du ihn schon länger?“
Er hob einen Stein auf und schleuderte ihn über die Wasseroberfläche. „Wir waren zusammen im Krieg.“
„Weißt du, dass sein Bruder dabei gefallen ist?“
„Ja.“
„Darunter leidet er bis heute“, sagte sie leise.
Ethan schnappte sich den nächsten Stein und drehte ihn nachdenklich in den Fingern. „Du liebst ihn, nicht wahr?“, fragte er sanft.
Evie schluckte, als er sie prüfend ansah. Sollte sie es abstreiten? Aber nach fünf Monaten, in denen sie es vor sich selbst immer wieder geleugnet hatte, tat es gut, es auszusprechen. „Ja.“ Sie lachte, und es klang bittersüß. „Und er macht es einem nicht einfach …“ Während sie seinen Blick erwiderte, hatte sie das Gefühl, dass Ethan genau wusste, wovon sie sprach. „Nach dem Tod seines Bruders hat er emotional dicht gemacht“, murmelte sie.
Ihr war klar, dass sie ihn in Schutz nahm. Aber für Evie war schon der Gedanke, dass eine ihrer Schwestern sterben könnte, schrecklich. Wie musste es erst sein, dabei zu sein, sie im Arm zu halten und nichts tun zu können?
So ein Erlebnis brannte sich ein, danach war man nicht mehr derselbe.
Ethan ließ den Stein übers Wasser flitzen. „Stimmt“, meinte er dann. „Aber ich denke, dass Finn schon vor Isaacs Tod … Probleme hatte.“
Ihr Kopf fuhr hoch. „Hat er dir das erzählt?“
„Nein.“ Er schnaubte. „Wir reden hier von Finn, schon vergessen? Der Mann war schon immer ein Buch mit sieben Siegeln, Evie. Jedenfalls, solange ich ihn kenne. Und nach Isaacs Tod ist es schlimmer geworden. Finn hat Dinge gesehen und erlebt, die ein Mensch nur begrenzt ertragen kann – wie jeder, der im Kriegseinsatz war. Die Psyche schaltet auf Verdrängung, eine reine Schutzfunktion. Aber ich glaube, dass dieser Mechanismus bei Finn schon früher eingesetzt hat, durch Geschehnisse in seiner Vergangenheit.“
Evie zog sich der Magen zusammen. Wenn Ethan mit seiner Vermutung richtiglag, trug Finn weitaus mehr mit sich herum als die Trauer um seinen Bruder. Unbewusst legte sie die Hand auf ihren Bauch, suchte Halt bei dem kostbaren Leben, das in ihr heranwuchs. „Wie soll ich dann jemals zu ihm durchdringen?“, fragte sie mutlos.
„Das weiß ich auch nicht. Aber eins ist sicher, er sucht Hilfe, auch wenn es ihm nicht bewusst ist. Und nach seinem kleinen Auftritt in der Werkstatt glaube ich, bist du die einzige Frau, die ihn erreichen kann. Ich habe Finn bisher noch nie so … emotional erlebt.“
Evie hob die Brauen. „Ist das dein Ernst?“
Ethan lachte. „Gib ihn nicht auf, Evie. Ich bin sicher, dass du ein menschliches Wesen aus ihm machen kannst.“
Tatsächlich war das kleine Wartezimmer am nächsten Tag überfüllt. Die Männer kamen mit den harmlosesten Wehwehchen an, die Evie je behandelt hatte.
Aber sie genoss es, Patienten zu haben, bei denen es nicht um Leben und Tod ging. Patienten, die alle Zeit der Welt zu haben schienen und charmant mit ihr flirteten. Und sie nahmen es mit Humor, wenn sie von ihrem Freund erzählte, der zu Hause auf sie wartete. Den sie sich natürlich ausgedacht hatte …
Mittags aß sie mit Bob auf der Veranda des Haupthauses. Die Brandungswellen sorgten für rauschende Hintergrundmusik, es war warm, und das Verandadach bot wohltuenden Schatten.
Irgendwann konnte Evie nicht anders, sie musste gähnen. „Entschuldige“, sagte sie. „Das muss an der frischen Seeluft liegen.“
„Du solltest dich hinlegen, ein Nickerchen machen, Mädchen. Eine Siesta, wie die Italiener.“
Die Versuchung war groß. Die Schwangerschaft machte unglaublich müde, und nach einem anstrengenden Zwölf-Stunden-Dienst im Sydney Harbour war sie immer völlig erledigt gewesen. Jeden Tag träumte sie von einem Mittagsschläfchen, und an ihren freien Tagen hätte sie nur schlafen können. Wie sollte das erst werden, wenn das Baby da war?
Und jetzt? Es erschien ihr ziemlich vermessen, am helllichten Tag ins Bett zu kriechen. Durfte sie das hier überhaupt?
„Na, los“, meinte Bob, als sie versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. „Hier ist nichts mehr zu tun, und du hast
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