JULIA ARZTROMAN Band 26
zuzumuten. Falls ihr Unterstützung braucht, sag mir einfach Bescheid.“
„Kann sein, dass ich dich beim Wort nehme, großer Chefarzt der Notaufnahme“, meinte sie lächelnd. Bei dem Gedanken, ihn wieder öfter zu sehen, wurde sie ganz aufgeregt. „Aber zuerst muss ich die Erbsenzähler überzeugen, die unser Budget verwalten.“
„Viel Glück“, meinte er trocken. „Wie auch immer, mein bisschen Einfluss steht dir zur Verfügung. Vielleicht kann ich wegen der Finanzierung ein gutes Wort für euch einlegen.“ Er zögerte kurz. „Dein Vater ist auch hier. Wie geht es ihm, Lucy?“
Gute Frage.
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Betrübt schüttelte sie den Kopf. „Manchmal scheint es ihm gut zu gehen. Dann wieder ist er völlig in sich gekehrt und gar nicht richtig da. Als würde er an seinem Kummer fast ersticken. Ich habe das Gefühl, dass er nicht loslassen kann. Dass er nie richtig getrauert hat. Es ist jetzt zwei Jahre her, Ben, und er redet nie von Mum. Aber ich möchte über sie sprechen. Ich habe sie geliebt, und ich will sie nicht vergessen.“ Lucy sah sich suchend um und entdeckte ihn beim Grill. Er wendete die Würstchen und unterhielt sich dabei mit Kate.
Kate war das Rückgrat der Praxis, eine tüchtige Praxismanagerin, die unermüdlich dafür sorgte, dass der Betrieb reibungslos lief. Sie war mit Lucys Mutter befreundet gewesen, obwohl die beiden Frauen sich ursprünglich durch Lucys Vater kennengelernt hatten. Aber Nick Roberts und Kate Althorp hatte nie mehr als Freundschaft verbunden. Obwohl … manchmal fragte Lucy sich, ob Kate sich nicht doch mehr wünschte. Allerdings hatte sie keine Chance. Ihr Vater war noch nicht so weit, würde es vielleicht nie sein.
„Ich wusste nicht, dass er auch kommt. Meinst du, er hat was dagegen, dass ich hier bin?“
„Red keinen Unsinn“, sagte sie schnell, auch wenn sie nicht ganz sicher war. „Es ist eine Spendenaktion, da brauchst du doch niemanden um Erlaubnis zu fragen.“
„Ich weiß. Ich wollte nur nicht, dass er sich unbehaglich fühlt.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist sein Problem, nicht deins. Abgesehen davon hat er im Moment andere Sachen im Kopf. Und Kate Althorp auch. Unsere Praxismanagerin. Sie steht neben ihm, die Dunkelhaarige in der hellrosa Bluse.“
„Wir sind uns schon einmal begegnet. Eine sympathische Frau.“
„Oh ja, das ist sie wirklich. Sie organisiert diesen Grillabend jedes Jahr. Wusstest du, dass ihr Mann James der Steuermann unseres Rettungsbootes war? Er starb bei dem Sturm Ende der Neunzigerjahre, genau wie Dads Vater und sein Bruder.“
„Nein, ich hatte keine Ahnung. Aber ich habe von der Katastrophe gehört. War nicht eine Gruppe Schulkinder von der Flut abgeschnitten? Und ein paar der Retter sind bei dem Versuch, sie in Sicherheit zu bringen, ertrunken?“
Lucy zeigte auf die Landzunge hinter dem Hafen. An der Spitze erhoben sich der Leuchtturm und die Kirche. „Da drüben ist es passiert.“
„Was haben die Kinder dort draußen gemacht? Sie waren doch nicht allein, oder?“
„Sie haben Gezeitentümpel studiert, und natürlich war ein Lehrer dabei. Aber seine Uhr war stehen geblieben. Als sie merkten, dass die Flut kam, war es zu spät. Dazu das Unwetter … es war furchtbar.“
„Tragisch“, sagte er ernst. „Mir war nicht klar, dass Verwandte von dir betroffen waren. Ich erinnere mich nur, dass eins der Opfer ein hiesiger Arzt war.“
„Ja, mein Onkel. Sie haben versucht, die Kinder vom Fuß der Klippe heraufzuholen, und Onkel Phil hatte sich an den Felsen abgeseilt. Die meisten konnte er retten, doch dann riss ihn eine riesige Welle vom Kliff. Er erlitt schwere Kopfverletzungen. Mein Großvater bekam einen Herzinfarkt und starb, kurz nachdem sie die Leiche meines Onkels geborgen hatten.“
„Das muss für euch alle entsetzlich gewesen sein.“
„Vor allem für meinen Vater. Danach hatte er nur noch uns – Mum, meine Brüder und mich. Seine Mutter war zwei Jahre zuvor verstorben, und sein Bruder hatte nie geheiratet. Mein Großvater war erst achtundsechzig gewesen.“
„Und Kates Mann?“
„James? Er wurde von den Felsen gespült. Das Rettungsboot war rausgefahren, um die Kinder an der Landspitze aufzusammeln. James war nicht dabei, weil er sich eine Rippe gebrochen hatte. Stattdessen ist er zu einem kleinen Mädchen hinuntergeklettert. Das Kind war so verängstigt, dass es sich keinen Zentimeter von der Stelle rühren wollte. Man hat ihm ein Seil und eine
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