JULIA ARZTROMAN Band 26
bedenken. Wir brauchen erst einmal einen Vertretungsarzt. Projekte, die damit nichts zu tun haben, sollten wir verschieben.“
„Das sehe ich anders“, widersprach Marco. „Die Menschen in Penhally Bay brauchen mehr, als wir ihnen anbieten können, Nick. Wir müssen die Pläne so bald wie möglich verwirklichen. Darüber haben wir schon hundert Mal gesprochen.“
„Aber warum Lucy? Warum nicht wir?“, wandte Nick sich an seinen Partner. „Wir beide tragen die Verantwortung für diese Praxis.“
„Weil sie am besten geeignet ist“, betonte Kate gelassen. „Notfallmedizin ist ihr Spezialgebiet, und der Ausbau der Erstversorgung war ihre Idee. Es geht darum, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen, Nick. Für die Zukunft zu planen. Irgendjemand muss es tun, warum nicht sie?“
Huhu, ich bin auch noch da, hätte Lucy fast gesagt. Alle redeten über sie, als wäre sie nicht anwesend.
Aber Kate war noch nicht fertig. „Außerdem haben sie schon mal zusammengearbeitet.“
Tatsächlich? Lucy richtete sich auf. Wann? Oder, was viel wichtiger war …
Nick kam ihr zuvor. „Wer ist es?“
„Ach, hatte ich das nicht gesagt?“, entgegnete Kate munter. „Ben Carter natürlich.“
„Ben?“ Plötzlich schlug ihr das Herz im Hals. Oh nein, nicht Ben! Sie hatte es ihm doch noch nicht erzählt …
„Carter!“ Ihr Vater machte ein grimmiges Gesicht. „Warum zum Teufel ausgerechnet er?“
„Weil er – genau wie Lucy – der Richtige dafür ist. Abgesehen davon hat er sich angeboten.“
Wirklich? Wieso? Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, waren sie sich einig gewesen, dass sie einander nicht wiedersehen würden. Das zerrüttete Verhältnis zu ihrem Vater ließ es nicht zu.
„Ausgeschlossen“, stieß Nick hervor. „Nicht Carter. In meiner Praxis hat er nichts zu suchen.“
„ Unserer Praxis“, berichtigte Marco ihn freundlich. „Außerdem ist es völlig egal, was du willst, was ich will oder irgendjemand anders. Wenn wir die Sache durchziehen, brauchen wir einen Experten. Ben Carter ist der Beste.“
„Schwachsinn. Der Mann ist unfähig.“
„Dad, was fällt dir ein? Du kannst nicht solche Sachen über ihn sagen.“
„Warum denn nicht, wenn es stimmt?“
„Weil es nicht wahr ist. Die Untersuchungskommission hat ihn hundertprozentig entlastet.“
„Schönfärberei, nichts weiter. Und wenn du dich von dem Kerl nicht so täuschen ließest, würdest du das auch begreifen.“
„Nick, das ist nicht fair“, mischte Kate sich behutsam ein. „Er ist ein angesehener Facharzt.“
Nick stand auf und stellte seine Tasse geräuschvoll in die Spüle. „Ihr könnt sagen, was ihr wollt“, sagte er starrköpfig. „Ben Carter ist für mich ein rotes Tuch, und ich will nichts mit ihm zu tun haben.“
Lucy wurde das Herz schwer. Warum war er so verbohrt? Und solange er den Fakten nicht ins Auge sah …
„Jetzt übertreibst du aber, Nick“, sagte Kate bestimmt. „Du musst dich gar nicht darum kümmern. Mit der Schwangerschaftsvorsorge hast du genug zu tun, Marco ist mit unseren kleinen Patienten beschäftigt, und somit kommen nur Lucy und Dragan für das Projekt infrage. In erster Linie Lucy. Außerdem wollen wir ihm keinen Job anbieten. Er dient nur als Berater.“
Nick wollte protestieren, doch Marco schnitt ihm das Wort ab.
„Sie hat recht, Nick.“
Nach einem düsteren Blick in die Runde drehte Nick sich abrupt um und marschierte zur Tür. „Macht nur. Ich habe hier nichts zu sagen, ich bin ja nur der Chef“, murrte er und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.
Lucy zuckte zusammen, Marco hob die Schultern, ließ sie wieder sinken, und Dragan schüttelte den Kopf.
Kate lächelte freundlich und trat zum Wasserkocher. „Okay, das hätten wir geklärt. Wer möchte Kaffee?“
Lucy konnte es nicht fassen. Ausgerechnet Ben!
Natürlich hätte sie sowieso irgendwann mit ihm reden müssen. Und zwar schon bald. Getraut hatte sie sich noch nicht …
Dabei hatte sie monatelang Zeit gehabt, sich die richtigen Worte zu überlegen. Feigling, dachte sie und merkte erst jetzt, dass ihre Patientin sie abwartend ansah.
Lucy besann sich wieder auf ihre Arbeit. „Also, Mrs. Jones, ich bin sicher, dass es Ihnen bald besser geht. Sie haben ein bisschen Flüssigkeit in den Lungen, aber das kommt von Ihrem Herzproblem. Ich habe Ihnen ein anderes Medikament aufgeschrieben, hier ist das Rezept.“ Sie ließ ihre Arzttasche zuschnappen. „Falls ich nichts von Ihnen höre, komme ich nächste Woche
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