Julia Extra 260
Marmorfußboden des Foyers bedeckte, als die Stimme des Sicherheitsmannes am Tor auch schon das Eintreffen eines Taxis verkündete.
„Ich hoffe, das ist nicht Pollack“, murmelte Joachim.
Er wollte bereits wieder nach oben stürmen und Leah holen, als sie die Treppe herunterkam.
Ihr Anblick raubte ihm den Atem.
Sie trug Schwarz. Ihr Kleid war lang, schmal und sexy. Aber auf sehr subtile Weise – das Oberteil wirkte zunächst verblüffend züchtig. Es saß ganz lose und endete in einem hohen Rundausschnitt. Allerdings gab es vorne vom Hals bis zur Taille einenSchlitz, so dass von Zeit zu Zeit nackte Haut und Dekolleté aufblitzten, je nachdem, wie sie sich bewegte. Ihre Arme und Schultern waren auch nackt, und Leahs blasse Haut kontrastierte wunderbar mit dem Schwarz des Kleids.
Ihr einziger Schmuck waren die bis zu den Schultern hängenden Diamantohrringe, die Joachim ihr zum zweiundzwanzigsten Geburtstag geschenkt und die ihn damals ein kleines Vermögen gekostet hatten.
„Du siehst heute Abend einfach fantastisch aus, Leah“, sagte er, während sie sich zu ihm gesellte.
„Ich bin froh, dass ich deine Zustimmung finde.“
Joachim hörte den merkwürdigen Unterton in ihrer Stimme und fragte sich, was er zu bedeuten hatte. Leah war, seit sie um drei angekommen war, in seltsamer Laune gewesen. Sie hatte gestanden, dass sie nicht wie üblich das Kinderkrankenhaus besucht hatte, weil sie am Morgen mit Migräne aufgewacht war.
Sie sah aber überhaupt nicht krank aus. Ganz im Gegenteil, sie sah so vital aus wie schon lange nicht mehr. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er vermutet, dass sie ihn anlog.
Aber warum sollte sie das tun? Was hatte sie in letzter Zeit getan, das sie nicht eingestehen wollte?
„Ist das Kleid neu?“, fragte er, während er dem ersten Dinnergast die Tür öffnete. Zu seiner Erleichterung war es nicht Pollack, sondern die Hawkins, langjährige Freunde der Familie. Nigel war Orthopäde, Jessica, seine Frau, sehr nett, aber ein wenig langweilig. Sie waren bereits aus dem Taxi gestiegen, mussten aber noch die breite Treppe zum Haus hochkommen.
„Nein“, antwortete Leah. „Carl hat es mir in unseren Flitterwochen gekauft. Er fand, dass es sexy an mir aussähe.“
Joachim musste seinem Exschwiegersohn tatsächlich einmal zustimmen. Das Kleid seiner Tochter hätte ihn als Vater beunruhigen können, wenn er engstirnig oder prüde gewesen wäre.
Doch das war er nicht. Er war immer der Meinung gewesen, dass eine schöne Frau wie Leah für die Liebe geschaffen war. Und für Kinder.
Aber nicht mit irgendeinem Mann.
Joachim wollte, dass sein nächster Schwiegersohn ein Mann von Charakter und Persönlichkeit war.
Und weil er in Bezug auf Jason Pollack ganz sichergehen wollte, hatte er zu Beginn der Woche Nachforschungen angestelltund war beruhigt worden: Ein befreundeter Journalist einer angesehenen Tageszeitung hatte ihm versichert, dass Pollacks Ruf privat wie beruflich lupenrein war.
Falls er an diesem Abend jedoch keinen Eindruck auf Leah machen sollte, war Joachim fest entschlossen, andere Männer in das Leben seiner Tochter zu bringen. Er konnte einfach nicht zulassen, dass Leah dauerhaft allein blieb, nur weil ihr erster Ehemann ein feiger Mistkerl gewesen war.
„Aah … da sind Nigel und Jessie …“, verkündete er in diesem Augenblick.
Leah holte tief Luft und bereitete sich innerlich darauf vor, die Rolle zu spielen, die ihr Vater von ihr erwartete.
Ihre Mutter hatte ihr beigebracht, eine gute Gastgeberin zu sein. Leah wusste instinktiv die richtigen Dinge zu sagen und auch ein Kompliment entgegenzunehmen, ohne zu erröten oder zu stammeln.
Doch sie war sich tatsächlich einen Moment lang unsicher, als Nigel unverwandt auf ihr Dekolleté starrte. Vielleicht hätte sie dieses Kleid heute besser nicht getragen. Noch dazu hatte sie den BH weggelassen.
Aber sie wollte das Gefühl genießen, ihre nackten Brüste gegen die Seide des Kleids zu spüren. Dabei wollte sie sich daran erinnern, wie es gewesen war, als Jason sie in der vergangenen Nacht berührt hatte.
Denn das war alles, was sie jemals von ihm haben würde.
Erinnerungen.
Mehrere Paare kamen nun in schneller Folge an – Leah kannte sie alle. Die Börsenkollegen ihre Vaters mit ihren Ehefrauen. Sein Buchhalter mit Partnerin. Sein Anwalt mit Freundin.
Ein Lokalpolitiker mit seiner zweiten, wesentlich jüngeren Ehefrau erschien fünf Minuten später, gefolgt von einem bekannten Fernsehschauspieler
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