Julia Extra Band 0258
Ein ihm nur allzu bekanntes angenehmes Gefühl durchströmte seinen Körper. Die schwarzhaarige Schönheit mit den grünen Augen langweilte sich also?
Nun, es würde ihm ein Vergnügen sein, das zu ändern.
Mit grimmiger Entschlossenheit ging er die Treppe hinunter.
Von Minute zu Minute sank Annas Laune. Warum gab es denn nun schon wieder eine Verzögerung? Tonio Embrutti und seine Assistenten hatten die Köpfe zusammengesteckt und stritten leise auf Italienisch. Sie seufzte noch einmal. Die tief dekolletierte Korsage schnitt schmerzhaft in ihre Haut. Wie sehr sie solche Kleidung hasste, die viel zu viel entblößte und die lüsternen Blicke der Männer auf sie zog.
Die Lippen fest aufeinander gepresst, zwang sie sich, im Kopf einen ihrer Karategriffe zu wiederholen. Das Wissen, sich gegen körperliche Zudringlichkeiten zur Wehr setzen zu können, entspannte und beruhigte sie zugleich – auch wenn sie gegen Blicke nichts ausrichten konnte.
Wieder verlagerte sie ihr Gewicht. Modeln war nicht annähernd so einfach, wie die Leute glaubten. Vor allem die beiden Amateure neben ihr – Kate und Vanessa – strengten das Shooting extrem an. Anna sah zu den beiden hinüber. Ohne ihre Kontaktlinsen blieb der Blick der brünetten Kate seltsam ausdruckslos. Aber zumindest bekam sie so die lüsternen Blicke nicht mit. Die rothaarige Vanessa hingegen genoss einen anderen Schutz. Ihr Freund war der Cousin des Mannes, der die ganze Show in Auftrag gegeben hatte und dem diese mittelalterliche Burg gehörte. Warum allerdings ein Grieche ein Schloss in den österreichischen Alpen kaufte, ergab für sie keinen Sinn. Vielleicht wollte er einfach in der Nähe seines Schweizer Bankkontos sein.
Plötzlich verengten sich Annas Augen besorgt zu schmalen Schlitzen.
Ihre Freundin Jenny, die Blonde in ihrem Quartett, sah gar nicht gut aus. Sie war schon immer dünn gewesen – welches Model war das nicht? –, aber jetzt wirkte sie fast ausgezehrt. Zumindest wusste Anna, dass Jenny keine Drogen nahm. Hoffentlich hatte ihr nicht irgendein Trottel von Fotograf geraten, eine strikte Diät einzulegen. War ihre Freundin vielleicht krank? Bei dem Gedanken durchlief Anna ein Schauer. Das Leben war unsicher genug, und man konnte durchaus mit Mitte zwanzig sterben. Schließlich war ihre eigene Mutter nur fünfundzwanzig Jahre geworden, und sie musste vaterlos bei ihrer verwitweten Großmutter aufwachsen.
Was auch immer Jennys Problem war, Anna nahm sich vor, nach dem Shooting ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen. Falls es jemals vorbei wäre. Zumindest löste der Kreis um Tonio Embrutti sich endlich auf, und der Fotograf wandte seine Aufmerksamkeit den Models zu. Kleine Augen funkelten in seinem fleischigen Gesicht.
„Du!“ Er deutete in einer dramatischen Geste auf Jenny. „Runter!“
„Runter?“, wiederholte sie dumpf.
Gereizt fuchtelte Tonio mit den Händen. „Das Kleid. Runter damit. Zieh es aus. Dann verschränkst du die Arme vor den Brüsten. Ich will die Armbänder fotografieren. Beeil dich!“ Ungeduldig schnippte er nach dem Stylisten und streckte die Hand nach der Kamera aus.
Doch Jenny blieb unbeweglich stehen. „Ich kann nicht.“
Der Fotograf starrte sie an. „Bist du taub?“, fragte er. „Du sollst das Kleid ausziehen. Sofort!“
Währenddessen löste der Stylist bereits gehorsam den Verschluss des Kleides.
„Ich werde mein Kleid nicht ausziehen.“ Nun klang Jennys Stimme schrill.
Anna sah, wie sich Embruttis Miene verdüsterte. Sie trat einen Schritt vor, um ihrer Freundin zu helfen. „Keine Nacktaufnahmen“, verkündete sie. „Das steht in unserem Vertrag.“
Der Fotograf fuhr zu ihr herum. „Halt den Mund!“ Dann wandte er sich wieder Jenny zu.
Anna ging zu ihrer Freundin und hob abwehrend die Hand, um dem Stylisten Einhalt zu gebieten.
In dem Moment ertönte eine andere Stimme. Eine unbekannte Stimme. Tief und mit deutlichem Akzent.
„Gibt es ein Problem?“
Ein Mann trat aus dem Schatten, der sich überall außerhalb der von Scheinwerfern erhellten Fläche in der Mitte der Eingangshalle erstreckte.
Anna stockte der Atem. Der Unbekannte war wie ein Leopard. Geschmeidig, mächtig, anmutig – und gefährlich.
Gefährlich? Wie kam sie denn darauf? Doch genau dieses Wort hatte sich in ihrem Kopf geformt, und noch während sie darüber nachdachte, wurde es von einem anderen ersetzt.
Bedrohlich.
Jetzt, wo ihr Interesse geweckt war, betrachtete sie den Fremden genauer. Er war groß, größer als
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