JULIA EXTRA BAND 0274
egozentrischen Filmregisseur zu verfolgen, von dem du nicht einmal weißt, dass er dort ist, wo du ihn vermutest. Und der mir höchstwahrscheinlich ein spontanes Interview verweigern wird.“
Isabella klopfte ungeduldig mit den Fingernägeln auf die Theke der Hotelrezeption, an der sie den Anruf ihrer Schwester entgegengenommen hatte. Sie spürte, wie ihr ein kleines Rinnsal aus Schweiß den Rücken hinunterlief. Trotz des Regens war es unglaublich heiß und schwül, und im Moment hätte sie alles für eine kühlende Dusche und ein erfrischendes Getränk gegeben. Sie war den ganzen Tag unterwegs gewesen und hatte Pilger auf dem berühmten Jakobsweg interviewt. Rücken und Füße taten ihr weh, doch die Kameradschaft und der Enthusiasmus der Gläubigen gaben ihr Auftrieb. Nach einer kurzen Erholungspause würde sie wieder an ihrem Buch weiterarbeiten. Auf keinen Fall hatte sie die Absicht, sich auf ein so fruchtloses Unterfangen einzulassen, wie ihre Schwester es ihr vorschlug. Warum sollte sie einem Mann hinterherjagen, der offensichtlich großen Wert darauf legte, seine Privatsphäre zu wahren? Und das nur, weil die impulsive und krankhaft ehrgeizige Emilia eine Chance witterte, für ihr Magazin ein Exklusivinterview an Land zu ziehen.
„Bitte, Isabella … das kannst du mir nicht abschlagen! Du bist direkt im Hafen von Vigo, in derselben Stadt, in der auch Leandro Reyes sich nur einen einzigen Tag lang aufhält, um einen Vortrag zu halten. Bitte tu mir den Gefallen! Womit kann ich dich überzeugen? Hör mal, ich zahle dir jeden Betrag … nenn mir einfach deinen Preis.“
„Um Himmels willen, Emilia! Ich will kein Geld! Alles,was ich will, ist, in Ruhe gelassen zu werden, um mich auf mein eigenes Projekt konzentrieren zu können!“
Die Verzweiflung ihrer Schwester erschien ihr lächerlich, doch Emilia war es eben nicht gewöhnt, dass man ihr etwas abschlug. Sie war das Nesthäkchen der Familie, drei Jahre jünger als Isabella und aus der Ehe ihrer Mutter mit dem liebenswerten Amerikaner Hal Deluce hervorgegangen. Den hatte ihre Mutter ein Jahr nach dem Tod von Isabellas Vater auf einer Kreuzfahrt in der Karibik kennengelernt. Emilias Geburt erschien der Mutter als ein wunderbares Omen für den Beginn besserer Zeiten, und das Mädchen konnte seitdem einfach nichts verkehrt machen. Auf Isabellas Schultern hatten dagegen immer übertrieben hohe Erwartungen gelastet, schon allein deshalb, weil sie die Ältere war. Erwartungen, die sie immer wieder enttäuscht hatte. Dazu gehörte unter anderem eine teure Hochzeitsfeier, die von ihren Eltern organisiert und finanziert worden war. Doch in letzter Minute hatte Isabella kalte Füße bekommen und die Hochzeit abgeblasen.
Im Gegensatz dazu würden die Wörter „Fehlschlag“ und „Emilia“ ihren Eltern nie in einem Zusammenhang über die Lippen kommen. Denn außer als Journalistin bei einem Frauenmagazin der Spitzenklasse Karriere zu machen, hatte sie einen gut aussehenden jungen Börsenmakler aus bester Familie geheiratet. Und um ihren Ruf als „Miss Fehlerlos“ noch weiter zu untermauern, lebte sie seit Kurzem in einem prächtigen Haus in Chelsea und wohnte nun Seite an Seite mit den Reichen und Schönen, über die sie auch in ihrem Magazin berichtete. In den Augen ihrer Mutter war ihre Jüngste „angekommen“, während Isabella noch immer „unterwegs“ war.
Daher waren Emilias Ansprüche an die Großmut derjenigen, die sie liebten, häufig völlig übertrieben. Wie jetzt. Sie wusste, dass Isabella in Nordspanien war, um für ihr Buch zu recherchieren und sich der Herausforderung einer Pilgerwanderung zu stellen, bei der sie täglich zwischen zwanzig und dreißig Kilometer zu Fuß zurücklegte. Sie war nicht zum Urlaub hier, sondern verfolgte ein seriöses Ziel … während sie lief, arbeitete sie gleichzeitig auch.
Was nicht hieß, dass Isabella nicht jede Minute genoss. IhreRecherche über den Jakobsweg und die Gründe, die die Menschen dazu veranlassten, diese fünfwöchige Pilgerreise anzutreten und tatsächlich selbst mitzulaufen, begeisterten sie. Deshalb wollte sie sich auch nicht davon ablenken lassen.
„Aber verstehst du das denn nicht, Em? Ich arbeite hier! Dafür habe ich mir in der Bibliothek drei Monate unbezahlten Urlaub genommen, von dem ich keine Sekunde verschwenden möchte. Ich bin den ganzen Tag gewandert, es ist heiß, ich bin müde, habe Riesenblasen an den Füßen und muss mich etwas ausruhen, bevor ich heute Abend weiterschreibe.
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