JULIA EXTRA BAND 0274
Du bist doch pfiffig: Wenn du herausbekommen hast, dass Leandro Reyes heute in Vigo ist, bin ich sicher, dass du auch herausfinden kannst, wo er morgen sein wird. Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen – wirklich nicht!“
Am anderen Ende der Leitung war ein frustriertes Seufzen zu vernehmen, das Bände sprach. Wenn du das nicht für mich tust, schien es zu sagen, lässt du die Familie wieder einmal im Stich. Ich dachte, du bist meine Schwester? Ich dachte, dir liegt etwas an mir? Nun sehe ich, dass es nicht so ist.
Sofort verspürte Isabella Schuldgefühle und musste sich auf die Lippe beißen, um ihren letzten Satz nicht wieder zurückzunehmen. Unruhig sah sie auf ihre Armbanduhr und ließ ihren Blick dann sehnsüchtig zu der kleinen Treppe wandern, die zu ihrem einfachen und ruhigen Zimmer hinaufführte. Aufgrund von Emilias überraschendem Anruf war sie noch nicht einmal dazu gekommen, ihren Rucksack auszupacken. Vor der Reise hatte sie ihrer Mutter die Telefonnummern der preiswerten Hotels gegeben, in denen sie an den Tagen absteigen wollte, an denen sie nicht in Pilgerherbergen übernachtete. Nach diesem Anruf ihrer Schwester bedauerte sie das zutiefst.
„Ich würde alles geben, um an Informationen über Leandro Reyes zu kommen, Isabella! Als Mum erwähnte, dass du heute in Vigo ankommst, war ich ganz aus dem Häuschen! Ich habe erst gestern Abend erfahren, dass er dort sein wird. Leider verbietet es mein Terminkalender, selbst hinzufliegen. Sonst hätte ich natürlich persönlich versucht, ein Interviewvon ihm zu bekommen. Es würde mir so viel bedeuten, Schwesterchen … für meine Karriere. Leandro Reyes ist ein Genie unter den Experimentalfilmern. Die meisten Feuilletonschreiber würden ihre Seele verkaufen, um ein Interview mit ihm zu bekommen. Versuch bitte, ihn zu treffen – bitte! Auch wenn es nur ein ganz kurzes Interview wird. Zumindest würdest du einen Eindruck von dem Mann bekommen, und ich hätte eine Grundlage, die ich noch ausschmücken könnte.“
Isabella wurde es flau im Magen. Emilias Edelmagazin der gehobenen Preisklasse galt als seriös, aber auch dort fand man es nicht unter der Würde, die schmutzigen kleinen Geheimnisse der Stars und Prominenten auszuplaudern, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab. Isabella missbilligte diese Art von Sensationsjournalismus. Jeder hatte ein Recht auf seine Privatsphäre … sogar hochgelobte und gefragte Filmregisseure. Besonders solche wie Leandro Reyes, der für seine außerordentliche Öffentlichkeitsscheu bekannt war. Bei dem Gedanken daran, mit einem solchen Mann ein Gespräch führen zu müssen, war ihr gar nicht wohl. „Emilia, ich muss jetzt auflegen. Ich brauche eine Dusche und etwas zu trinken und dann …“
„Ich flehe dich an, Isabella! Leandro wird im Paradiso sein, einem eher verschwiegenen Lokal. Bei einer Filmpremiere habe ich gestern zufällig ein Gespräch belauscht, bei dem erwähnt wurde, dass er heute an einer Hochschule in Vigo einen Vortrag hält und sich hinterher mit einem Kollegen auf einen Drink treffen will. Um sieben Uhr. Ruf mich zu Hause an, nachdem du mit ihm gesprochen hast. Ich warte auf deinen Anruf. Danke, Schwesterchen … du bist ein Engel! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann!“
„Und woran kann ich ihn erkennen? Ich weiß ja nicht einmal, wie er aussieht!“
„Er ist einsfünfundachtzig groß, durchtrainiert, hat dunkle Haare, schiefergraue Augen und ist der gefragteste Junggeselle der Filmindustrie. Glaub mir – es ist unmöglich, ihn zu übersehen!“
Bevor Isabella etwas darauf erwidern konnte, wurde am anderen Ende der Leitung aufgelegt.
Als Leandro Reyes sich in der fast leeren Bar umsah, spürte er ein nervöses Kribbeln in seinem Nacken. Alphonso hätte schon vor einer halben Stunde hier sein sollen. Sein Freund – auch Regisseur – hatte ihn dringend sprechen und ihn bezüglich eines Projekts um Rat fragen wollen. Nachdem er herausgefunden hatte, dass Leandro in der Gegend sein würde und anschließend in sein Haus in Pontevedra fahren wollte, hatte er das Paradiso als einen auf der Strecke liegenden Treffpunkt vorgeschlagen. Es war ein ruhiges, abgelegenes Lokal, wo niemand sie belästigen würde. Der Besitzer hatte auch versprochen, dass er ihnen etwas zu essen zaubern konnte, wenn sie hungrig wären. Beim bloßen Gedanken an Essen fing Leandros leerer Magen an zu knurren. Während er auf seinen Freund wartete, konnte er die Zeit nutzen und sich eine Kleinigkeit
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