JULIA EXTRA BAND 0274
habe wider besseres Wissen gehandelt und hätte wirklich nicht zu Ihnen hinüberkommen sollen. Bitte verzeihen Sie mir.“ Mit der Absicht, so schnell wie möglich zu verschwinden und dieses peinliche Erlebnis aus ihrem Gedächtnis zu verbannen, drehte sie sich um. Später am Telefon würde sie Emilia gehörig die Meinung sagen! Sie musste verrückt gewesen sein, zu glauben, dass sie ein Interview von diesem Mann bekommen würde. Den abfälligen Blick, mit dem er sie gemustert hatte, hatte sie nur allzu deutlich gesehen.
„Warten Sie einen Moment.“
Seine Stimme, die kehlig und zugleich verführerisch klang, ließ Isabella innehalten. „Für welche Zeitschrift arbeiten Sie?“
„Für keine.“
Isabella drehte sich langsam wieder um und schob ein paar der Haarsträhnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, hinter ihr Ohr. Die kühlen grauen Augen von Leandro Reyes musterten sie voller Misstrauen. Überall wäre sie lieber gewesen, als diesem prüfenden Blick standhalten zu müssen.
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Ich will damit sagen, dass ich selbst keine Journalistin bin. Ich bin in Spanien, um für ein Buch zu recherchieren. Und ich habe Sie nur aufgesucht, weil meine Schwester, diefür eine Frauenzeitschrift in England arbeitet, mich angerufen hat, als sie erfuhr, dass ich zum gleichen Zeitpunkt wie Sie in Vigo sein würde, Señor Reyes.“
„Also will eigentlich Ihre Schwester ein Interview von mir?“
„Das ist richtig. Noch einmal, ich kann mich nur entschuldigen dafür, dass ich so …“
„Woher wusste Ihre Schwester, dass ich heute hier sein würde?“
Sie konnte ihm doch nicht sagen, dass Emilia ein Privatgespräch belauscht hatte! Wie würden sie und ihre Schwester dann in seinen Augen dastehen? Isabellas Wunsch, aus dem Blickfeld dieses verstörenden Mannes zu entkommen, verstärkte sich. Sie sollte jetzt eigentlich in ihrem kleinen Hotelzimmer sitzen und Notizen über ihre Gespräche mit den Pilgern niederschreiben – und nicht die unbedarfte Spionin für Emilia spielen!
„Es tut mir leid, aber da müssen Sie meine Schwester fragen. Nehmen Sie bitte meine Entschuldigung an, Señor Reyes. Ich habe meiner Schwester gesagt, dass ich das Ganze für eine schlechte Idee halte, aber sie kann leider sehr überzeugend sein.“ Sie verzog verschämt das Gesicht und wandte sich wieder zum Gehen. Doch Leandro hielt sie noch einmal zurück.
„Sie sind also Schriftstellerin? Haben Sie schon etwas veröffentlicht?“
„Nein … noch nicht. Momentan arbeite ich noch als Bibliothekarin, aber ich hoffe, irgendwann als Autorin arbeiten zu können.“
„Und das Buch, an dem Sie schreiben? Ist es ein Roman?“
Einen kurzen Moment lang war Isabella von dem intensiven Blick dieses Mannes wie hypnotisiert, und es fiel ihr nicht leicht, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Nein, es ist ein Sachbuch. Ich schreibe über die Pilger auf dem Jakobsweg. Mein Großvater war Spanier und hat mir so viele Geschichten darüber erzählt, dass es schon immer mein Wunsch war, herzukommen und alles selbst zu erleben.“
Leandros Zorn verrauchte, während er die junge Frau überrascht betrachtete. Der Jakobsweg hatte für ihn und seine Familie eine große Bedeutung – wie eigentlich für alleBewohner von Spaniens Norden. Viele waren ihn entlanggewandert und hatten seine Segnungen empfangen, über die sie bis heute dankbar sprachen. Vielleicht war diese junge Frau mit den seelenvollen dunklen Augen und der zarten Haut nicht aus demselben Holz geschnitzt wie die skrupellosen Reporter, die ihm so auf die Nerven gingen. Es wäre doch möglich, dass man ihr vertrauen konnte? Leandro wollte das gerne glauben, auch wenn er von Natur aus misstrauisch war. Er beschloss, ihr eine Chance zu geben. Er würde früh genug herausfinden, ob das ein Fehler war oder nicht.
„Sie wandern den Jakobsweg selbst entlang?“, fragte er interessiert.
„Ja, aber ich mache immer wieder ein, zwei Tage Station, um mit anderen Pilgern zu sprechen und etwas zu schreiben. Bis jetzt habe ich schon einige sehr interessante und mitreißende Geschichten gehört, wunderbares Material, um damit zu arbeiten. Wie dem auch sei, ich sollte jetzt gehen und Sie in Ruhe lassen. Ich habe viele Notizen zu verarbeiten und will vorankommen. Ich bin sehr erfreut, Sie kennengelernt zu haben, Señor Reyes.“
„Wenn dem so ist, sollten Sie nicht so eilig darauf bedacht sein, wieder zu verschwinden, nicht wahr?“ Mit dem Fuß stieß er einen
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