Julia Extra Band 356 - Ebook
hatte ein hochrotes Gesicht und das unangenehme Gefühl, als könnte Kiryl ihr direkt ins Herz sehen. Aber vielleicht war er es ja gewöhnt, auf Frauen einen starken Eindruck zu machen. Auf sehr viele Frauen, wie sie annahm. Für sie hingegen war das alles ganz neu, und es erschütterte sie bis ins Mark.
Ohne nach rechts oder links zu schauen, eilte sie auf den Ausgang zu. Aber Kiryl nahm sie beim Arm und zwang sie, stehen zu bleiben. Er sah ihr tief in die Augen und sagte unerwartet ernst: „Der Grund, warum ich mich für Ihre Stiftung interessiere, ist meine eigene Mutter.“
Verwirrt sah sie ihn an und hatte einige Sekunden lang Mühe, den Sinn seiner Worte zu verstehen. „Ihre eigene Mutter?“
Es war ihm also gelungen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Doch das war nicht schwer gewesen war. Denn den Informationen, die er bisher über Alena gesammelt hatte, entnahm er, dass das Thema Eltern sie ganz besonders berührte.
Kiryl nickte und fügte hinzu: „Ja, aber darüber würde ich mit Ihnen lieber beim Essen sprechen. Ist es Ihnen recht, wenn wir ein Taxi nehmen? Wenn ich in London bin, fahre ich lieber mit dem Taxi als mit einem Privatchauffeur. Das gibt mir mehr Freiheit.“
„Ja, natürlich“, versicherte Alena, die froh war, dass sie sich wieder auf ungefährlichem Terrain bewegten. „Ich liebe die Londoner Taxis!“ Sie zog ein Gesicht. „Vasilii versteht das nicht, und er mag es eigentlich gar nicht, dass ich sie benutze.“
Jetzt hatten sie immerhin etwas gemeinsam, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war. Alena fühlte sich sofort viel entspannter.
Ihre Reaktion entging Kiryl nicht. Natürlich wusste er um ihre Vorliebe und hatte die Taxifahrt absichtlich eingefädelt, um ihr Vertrauen zu erringen. Jeder kleine Schritt in diese Richtung führte ihn seinem Ziel näher.
Kaum saßen sie im Taxi, schlug er ihr vor: „Ich würde das Mittagessen gern in Ihrem Hotel einnehmen. Sind Sie damit einverstanden?“
Alena nickte. Sie wusste, dass das Hotelrestaurant einen ausgezeichneten Ruf genoss, vor allem bei Geschäftsleuten. In Alenas Augen war es ein richtiges Männerrestaurant, was sich deutlich in der Speisekarte niederschlug. Die Steakvarianten waren legendär, und die Portionen fielen immer ein wenig zu groß aus. Ihr Fall war es eigentlich nicht. Sie spürte einen Anflug von Enttäuschung, doch sie ermahnte sich sofort zur Sachlichkeit. Schließlich ging es hier um eine geschäftliche Angelegenheit und nicht um ein Rendezvous. Kiryl war sicher ein beschäftigter Mann, genau wie ihr Bruder. Sie wusste, dass Vasilii genauso pragmatisch gehandelt hätte.
Beim Gedanken an den Zweck ihres Treffens richtete sie sich auf und rückte ein wenig von Kiryl ab. Heute musste sie in der Rolle als junge Geschäftsfrau überzeugen.
Während der Fahrt vermied Kiryl, sie anzuschauen. Dafür würde später Zeit sein. Als kleiner Junge war er oft angeln gegangen. Manchmal war der Fisch, den er gefangen hatte, für seine Pflegemutter und die übrigen Pflegekinder die einzige Mahlzeit am Tag gewesen. Er hatte also schon früh gelernt, sich Zeit zu nehmen und auf den Moment zu warten, in dem ihm seine Beute ins Netz ging.
Außerdem merkte er, dass sein Schweigen Alenas Anspannung noch erhöhte, und das konnte ihm nur recht sein. Das Schicksal hatte ihm die beste Karte zugespielt, die er jemals in der Hand halten würde, und er wollte diesen Vorteil nicht ungenutzt lassen.
Der Verkehr wurde dichter, und an einer der vielen Londoner Baustellen musste das Taxi halten. Kiryl warf Alena einen vorsichtigen Blick zu. Sein Agent hatte gute Arbeit geleistet, Kiryl wusste inzwischen fast alles über sie. Er wusste, dass Vasilii im guten Glauben war, Alena befände sich in diesem Moment in der Obhut einer ehemaligen Direktorin eines Mädcheninternats. Er wusste, dass sie mit ziemlicher Sicherheit noch Jungfrau war. Er wusste alles über die Heirat ihrer Eltern und darüber, dass ihre englische Mutter sich für wohltätige Zwecke engagiert hatte. Außerdem war er darüber informiert, wie viele Millionen sich in ihrem Treuhandfonds befanden und wie viele Aktien sie mit fünfundzwanzig aus der Firma ihres Halbbruders erhalten würde.
Kein Zweifel, Alena würde einmal sehr vermögend sein und für ihn eine wertvolle Schachfigur in seinem Spiel. Kein Wunder, dass ihr Halbbruder ein so wachsames Auge auf sie hatte. Doch jetzt war sie Kiryl ins Netz gegangen, und ihm war klar, dass er damit einen unschätzbaren Vorteil über
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