Julia Extra Band 356 - Ebook
auf ihn machte, riskierte sie, eine große Summe Geldes zu verlieren. Aber wenn sie Vasilii vorschickte, wie sollte sie ihren Bruder dann jemals davon überzeugen, dass sie die Richtige für diesen Posten war? Und – was noch entscheidender war – wie sollte sie das Selbstvertrauen entwickeln, das für diese Arbeit unabdingbar war?
Sie holte tief Luft. „Nein, wenn dieser Mann mich treffen möchte, ist das sein gutes Recht.“
Dolores fiel offensichtlich ein Stein vom Herzen. Sie nickte zustimmend.
„Sind Sie dann so nett, einen Termin für mich auszumachen?“
„Das dürfte kein Problem sein, denn zufälligerweise ist er gerade in London. Als ich ihm sagte, dass Sie heute hier sein würden, hat er vorgeschlagen, gleich vorbeizukommen.“
Du liebe Güte, der Mann verlor wirklich keine Zeit! Genau wie Vasilii, dachte Alena. Männer wie er marschierten geradewegs auf ihr Ziel zu und ließen sich durch nichts aufhalten.
„Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind“, fügte Dolores hastig hinzu. „Sonst mache ich gern einen anderen Termin für Sie aus.“
Alenas Gedanken überschlugen sich. Sie war zwar ziemlich nervös, wenn sie an die Verantwortung dachte, die mit diesem wichtigen Treffen verbunden war. Aber wenn sie wollte, dass man sie als Geschäftsfrau ernst nahm, musste sie sich auch so verhalten.
Also straffte sie die Schultern und sagte entschlossen: „Nein, das ist kein Problem. Ich treffe ihn gern.“
„Wunderbar! Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden. Diese Spende wird unsere Arbeit erleichtern, zumal es sich um eine jährliche Zuwendung handeln soll. Ich habe ihn gebeten, im Konferenzzimmer auf Sie zu warten. Natürlich können Sie mich jederzeit rufen, wenn Sie irgendwelche Fragen haben sollten.“
Alena warf ihr einen dankbaren Blick zu.
Der Konferenzraum der Stiftung war modern eingerichtet. Große Fenster, Stahlmöbel, die Wände in gebrochenem Weiß gestrichen. Das Zentrum des Raums bildete ein großer runder Tisch. An den Wänden hingen Fotos von Kindern. Von Kindern, die langsam zu Jugendlichen wurden und mithilfe einer qualifizierten Ausbildung ihren Platz in der Welt finden würden.
Immer wieder waren es diese Fotos, die zuerst ihre Aufmerksamkeit erregten, wenn sie den Raum betrat. Ihre Mutter hatte die meisten dieser Bilder gemacht, und immer, wenn Alena sie betrachtete, hatte sie das Gefühl, als sei ihre Mutter mit im Raum.
Aber heute waren es nicht die Fotos, die sie gefangen nahmen. Es war der Mann, der am Fenster stand. Sein Gesicht lag im Halbschatten, aber trotzdem erkannte Alena ihn sofort. Ein heißer Schauer ging durch ihren ganzen Körper. Es war Kiryl.
3. KAPITEL
Nach dem ersten Schock blieb Alena wie angewurzelt stehen. Ihr Herz machte einen großen Satz, und sie hätte nicht zu sagen vermocht, was stärker war – ihre Aufregung oder ihre Angst.
War er ihretwegen gekommen? Aber das konnte gar nicht sein. Er war bestimmt nicht der Typ von Mann, der eine Frau auf diese Weise zu beeindrucken versuchte. Das spürte sie. Es war mit Sicherheit purer Zufall, dass er jetzt vor ihr stand.
Fühlte sie sich deswegen nun besser? Wenn sie ehrlich war, wusste sie gar nicht mehr, was sie fühlte oder fühlen sollte. In diesem Moment bewegte er sich, und Licht fiel auf sein Gesicht. Sein Ausdruck war nicht zu deuten, doch seine Augen glänzten. Als er auf Alena zukam, musste sie unwillkürlich an ein anmutiges Raubtier denken. Ein Raubtier kurz vor dem Sprung.
„Alena, das ist Mr Androvonov“, stellte Dolores ihn vor.
„Ich …“
Ich weiß , hatte Alena zuerst sagen wollen, aber Kiryl kam ihr zuvor. „Miss Demidova, vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben“, begrüßte er sie höflich.
Alena war ganz schwindelig. Als Kiryl jetzt die Hand ausstreckte, musste sie den kindischen Impuls unterdrücken, ihre Hände im Rücken zu verschränken. Sie wollte nicht, dass er sie berührte, denn sie konnte nicht abschätzen, was das in ihr auslösen würde. Hatte sie nicht erst heute Morgen beschlossen, diesen Mann nie wiederzusehen?
Dolores beobachtete Alena in der Erwartung, dass sie Kiryls Hand ergreifen und schütteln würde. Alena tat es schließlich, vermied aber, ihn anzuschauen. Sie wollte nicht, dass er die Verletzlichkeit in ihren Augen sah.
Sein Händedruck war fest, seine Haut warm. Sofort musste Alena daran denken, wie es gestern gewesen war, als er ihre Hand gehalten und dabei ihre Handgelenke gestreichelt hatte …
Sie schluckte und
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