Julia Extra Band 356 - Ebook
Nachdem sie den Taxifahrer bezahlt hatte, eilte sie ins Gebäude und bedachte den Pförtner, der ihr die Tür öffnete, mit einem strahlenden Lächeln.
Mayfair, das Stadtviertel, in dem die Stiftung ihr Hauptquartier bezogen hatte, war eines der exklusivsten Viertel Londons. Ursprünglich hatte Alenas Mutter dafür plädiert, sich ein schlichteres Quartier für die Arbeit zu suchen. Aber ihr Mann und ihr Sohn hatten sie davon überzeugt, dass eine prominente Adresse wesentlich geeigneter war, um wohlhabende Spender anzulocken. Außerdem war es für Vasilii auf diese Weise leichter gewesen, für die entsprechende Sicherheit zu sorgen.
Sicherheit war sehr wichtig für ihren Halbbruder. Kein Wunder, schließlich war seine Mutter bei einer Entführung ums Leben gekommen. Kurz darauf hatte sein Vater seine Geschäfte nach London verlegt und dort ein Haus gekauft. Bei einer Reise nach St. Petersburg hatte er dann Alenas Mutter kennengelernt. Die beiden waren sehr glücklich gewesen. Ihr tödlicher Autounfall war ein furchtbarer Schock für Alena und Vasilii gewesen, der ihrem Vater versprochen hatte, sich immer um seine Halbschwester zu kümmern. Und Alena wusste, dass er dieses Versprechen sehr ernst nahm.
Sie war froh, dass Vasilii nichts von dem Zwischenfall mit Kiryl erfahren würde, und nahm sich fest vor, sich von nun an nur noch auf ihre Aufgabe in der Stiftung zu konzentrieren. Mit energischen Schritten eilte sie durch die Halle in Richtung Aufzug und fuhr in den zehnten Stock hinauf.
Ein Teil des Stiftungsprogramms sah vor, sich weltweit um arme Frauen zu kümmern. Dolores Alvarez, die Geschäftsführerin, kam aus Südamerika und hatte als Kind selbst bitterste Armut erfahren. Sie war Mitte fünfzig, eine weltgewandte und äußerst kompetente Kämpferin für Gerechtigkeit.
Dolores hieß Alena mit offenen Armen willkommen. Sie führte sie in ihr Büro und bot ihr einen Kaffee an. „Ich habe tolle Neuigkeiten“, verkündete sie strahlend. „Sie wissen doch, dass wir uns in letzter Zeit verstärkt um neue Sponsoren gekümmert haben, nicht wahr?“
Alena nickte. „Ja, dieser Punkt war meinen Eltern auch immer sehr wichtig.“
„Das ist keine leichte Aufgabe, aber jetzt hat sich tatsächlich jemand gemeldet, der unsere Arbeit tatkräftig unterstützen möchte. Er hat uns eine größere Summe in Aussicht gestellt. Allerdings hat er darum gebeten, zuerst Sie kennenzulernen, bevor er eine Entscheidung trifft.“
„Mich?“ Alena war überrascht. „Will er sich davon überzeugen, dass ich einer solchen Aufgabe gewachsen bin? Oder was ist der Grund?“ Sie lachte. „Das erinnert mich an Vasilii. Genau dasselbe würde er auch tun.“
„Ja, reiche Männer wollen offensichtlich immer alles fest im Griff haben. Aber wahrscheinlich wären sie sonst auch nicht in dieser Position.“
„Aber einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, richtig? Das wollten Sie doch wohl sagen.“
„Genau so ist es. Sie wissen ja selbst, welch ambitionierte Ziele wir uns mit der Stiftung gesteckt haben. Um sie zu erreichen, brauchen wir mehr Mittel, als wir zurzeit zur Verfügung haben.“
„Ich verstehe.“ Alena nickte. „Ich habe ein wenig recherchiert und weiß, dass die Lebenshaltungskosten in vielen Ländern gestiegen sind. Das bedeutet, auch wir müssen mehr Geld investieren, wenn wir in diesen Ländern Schulen bauen und Bildungseinrichtungen fördern wollen.“
Die ältere Frau sah sie überrascht an. In ihrem Blick lag Anerkennung. „Genauso ist es. Deshalb ist jeder neue Geldgeber wichtig für uns. Und dieser Mann macht einen wirklich vielversprechenden Eindruck. Es ist nur, dass …“ Sie stockte.
Alena sah sie fragend an. „Was denn? Nur heraus damit, sagen Sie es mir!“
Dolores fühlte sich sichtlich unwohl. „Also, er war ein bisschen skeptisch, als er erfuhr, wie jung Sie sind und wie wenig Erfahrung Sie haben. Deshalb hat er den Wunsch geäußert, Sie persönlich kennenzulernen.“
„Um sich davon zu überzeugen, dass ich reif genug bin, die Nachfolge meiner Mutter anzutreten?“, fragte Alena mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Um sicherzugehen, dass er die richtige Entscheidung trifft“, korrigierte Dolores. „Wenn Sie das nicht möchten, kann ich das natürlich verstehen. In diesem Fall sollten wir uns eine taktvolle Ausrede überlegen. Vielleicht kann Ihr Bruder Sie ja vertreten.“
Alena dachte angestrengt über den Vorschlag nach. Wenn sie diesen Sponsoren traf und keinen guten Eindruck
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