Julia Extra Band 356 - Ebook
als könnte dieser Mann ihre geheimsten Gedanken erraten, und das war nicht gerade angenehm. Aber sie wusste, dass es jetzt keinen Schritt mehr zurückgab. Denn wenn sie das hier ihrem Bruder gegenüber überhaupt rechtfertigen konnte, dann nur durch die Tatsache, dass es um die Stiftung ging. Das musste ihr vordringlichstes Ziel sein. Sie musste Vasilii beweisen, dass sie erwachsen genug war, die Nachfolge ihrer Mutter anzutreten.
Geräuschlos liefen sie über den dicken Teppich den Flur hinunter, bis sie vor Kiryls Suite angelangt waren. Er öffnete die Tür und bedeutete ihr einzutreten.
Das Erste, was Alena auffiel, waren die hohen Fenster, durch die helles Tageslicht drang. Sie ließen das Wohnzimmer noch größer erscheinen, als es war, und hüllten den Raum in ein warmes Licht, das eine beinahe beruhigende Wirkung auf sie hatte. Sie entspannte sich ein wenig.
Die Einrichtung der Suite unterschied sich in nichts von anderen Räumen dieser Art, die sie aus Luxushotels in aller Welt kannte. Es gab einen künstlichen Kamin, einen eleganten Essbereich und einen großen Wandschrank, hinter dem sie das Panorama-TV und die Minibar vermutete. Das ganze Zimmer war in hellen Grautönen gehalten, wirkte modern und zugleich zeitlos.
„Gut, dann werde ich mal das Essen kommen lassen. Ich hoffe, meine Wahl sagt Ihnen zu. Ach, und hier ist das Badezimmer für Gäste, wenn Sie sich vorher noch ein wenig frisch machen wollen“, sagte Kiryl und zeigte auf eine Tür.
Alena nickte dankbar. Sie war froh, dass er ihr den Weg gewiesen hatte. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie sich in sein Schlafzimmer verirrt hätte. Denn bestimmt hätte sie sich nicht versagen können, das Bett zu betrachten … sich vorzustellen, wie Kiryl darin lag … nackt … und wie sie neben ihm lag und seinen athletischen Körper liebkoste.
Doch nichts dergleichen geschah, und als sie im Badezimmer stand, atmete sie erst einmal tief durch. Das Herz schlug ihr noch immer bis zum Hals. Erschöpft lehnte sie sich gegen die Wand, zählte bis zehn und war erleichtert, dass sich ihr Herzschlag langsam beruhigte.
Am Waschbecken ließ sie sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen. Warum war sie hier? Natürlich wegen der Spende, die Kiryl in Aussicht gestellt hatte! Das durfte sie nicht vergessen. Sie griff nach einem der weißen Handtücher und trocknete sich ab. In diesem Moment läutete es an der Tür der Suite. Das mussten die Bediensteten mit dem Mittagessen sein.
Und mit was für einem Mittagessen!
Zwei livrierte Kellner hatten einen perfekt gedeckten Serviertisch hereingeschoben. Einer von ihnen forderte Alena auf, sich zu setzen, während der andere einen Stuhl für Kiryl bereithielt. Dann servierten sie den ersten Gang: einen Salat aus Birne und Ziegenkäse, Alenas Lieblingsvorspeise.
„Vielen Dank, den Rest machen wir selbst“, verkündete Kiryl und steckte den beiden ein Trinkgeld zu. Als sie gegangen waren, sagte er zu Alena: „Zuerst sollten wir anstoßen – mit unserem Nationalgetränk, habe ich mir gedacht.“ Er holte eine Flasche mit durchsichtiger Flüssigkeit aus einem Eiskübel und goss zwei kleine Gläser voll.
„Wodka?“
Aber Kiryl ließ Alena keine andere Wahl, als das Glas anzunehmen. Ihre Finger berührten sich kurz, und es durchfuhr sie heiß. Was war nur los, warum konnte dieser Mann sie bis ins Mark erschüttern? Der männlich-herbe Duft seines Eau de Colognes wehte ihr in die Nase. Er stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie sich kaum noch zu atmen traute.
Obwohl sie noch nicht einmal vom Wodka gekostet hatte, fühlte sie sich jetzt schon leicht benebelt. Bestimmt hing es damit zusammen, wie wichtig dieses Treffen war – für die Stiftung und für sie selbst. Ihre Hand fing an zu zittern, ihre Knie wurden ganz schwach. Aber glücklicherweise schien Kiryl nichts davon zu bemerken. Er schüttete sich selbst ein Glas ein und prostete ihr zu.
„ Za vashe zdorovie – auf Ihre Gesundheit“, sagte er, bevor er es in einem Zug leerte.
Alena wusste, dass er von ihr dasselbe erwartete. Schließlich war es Tradition. Nach kurzem Zögern erwiderte sie seinen Toast, doch am Glas nippte sie nur.
„Es wird allgemein behauptet, dass Wodka nicht so stark wirkt, wenn man ihn in einem Zug herunterschluckt. Aber wie ich sehe, sind Sie eine Frau, die ihr Vergnügen gern etwas in die Länge zieht. Und Wodka zu trinken, ist ja ein ganz besonderes Vergnügen für die, die ihn lieben. Er ist eiskalt wie die Taiga
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