Julia Extra Band 356 - Ebook
Vermögen war durch den zweiten Mann der jungen Frau, die er geheiratet hatte, damit sie ihm einen Sohn schenkte, bis auf den letzten Penny durchgebracht worden. Dieser Sohn war jedoch nie geboren worden, auch wenn es, wie er zu verstehen gegeben hatte, der einzige Sohn war, den er je als den seinen anerkennen würde. Kiryl hatte seinen Vater nicht wiedergesehen.
Wenn es ihm nun gelingen sollte, diesen alles entscheidenden Auftrag zu bekommen, hätte er endlich das Ziel erreicht, das er sich als Fünfzehnjähriger in Moskau gesteckt hatte.
Er blickte Alena über den Tisch hinweg an. „Als ich von der Stiftung Ihrer Mutter erfuhr, wusste ich sofort, dass ich mich dort engagieren möchte.“
Das war die Wahrheit. Das Wissen um die Stiftung, verbunden mit der Nachricht, dass Alena sie übernehmen wollte, hatte Kiryl eine Waffe in die Hand gegeben, wie sie schärfer nicht sein konnte.
„Mir ist bekannt, wie sehr sich die Stiftung dafür einsetzt, dass Mädchen eine gute Bildung bekommen. Und ich bewundere Sie sehr dafür, dass Sie die Absicht haben, diese schwierige Arbeit zu übernehmen. Nicht viele junge Frauen in Ihrem Alter würden das tun.“
„Danke“, erwiderte sie leise. „Sie müssen wissen, dass meiner Mutter diese Sache sehr am Herzen lag.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Es muss schlimm für Sie gewesen sein, ohne Ihre leibliche Mutter aufzuwachsen und …“
„Mein Vater meinte, ich hätte Glück gehabt, dass ich von einer Pflegemutter aufgezogen worden sei, die man nicht mit Zigeunern in Verbindung bringen könne.“
Alena spürte, wie ihr die Tränen kamen. Wie sehr musste er als Kind unter den Umständen gelitten haben.
„Wenn ich Ihnen zuhöre, weiß ich erst, was für ein Glück ich mit meinen Eltern gehabt habe“, sagte sie mit erstickter Stimme.
„Aber vielleicht nicht mit Ihrem Bruder, der Ihr Leben bis ins Detail zu kontrollieren scheint.“
„Vasilii will nur das Beste für mich.“
„Für Sie, aber auch für sich selbst. Wie wäre es jetzt mit dem Hauptgang? Bevor er kalt wird, meine ich. Ich hoffe, Sie mögen Seezunge?“
„Ja, das ist auch eines meiner Lieblingsgerichte“, erwiderte sie und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: „Aber das wussten Sie ja schon, nicht wahr? Deshalb haben Sie es ja ausgewählt.“
So viel hatte sie also verstanden. Das sprach durchaus für ihre Intelligenz. Kiryl nickte und lächelte: „Also gut, ich gebe zu, dass ich im Restaurant nachgefragt habe, was Sie gern essen. Ich wollte einen guten Eindruck auf Sie machen.“
Alena jubelte innerlich darüber, dass er sie offensichtlich beeindrucken wollte. Gleichzeitig war sie so verlegen, dass sie ihn nicht anschauen konnte. „Eigentlich sollte ich Sie beeindrucken“, sagte sie schließlich. „Denn ich habe von unserer Begegnung mehr zu gewinnen als Sie.“
„Das würde ich nicht sagen“, erwiderte Kiryl und legte ihr den Fisch vor. „Ich hoffe, sehr viel von unserer Begegnung zu profitieren.“
Bei diesen Worten sah er auf ihre Lippen, die sich unwillkürlich teilten.
„Erzählen Sie mir mehr über Ihre Mutter“, forderte er sie auf, während er weiter ihren Teller füllte.
„Meine Mutter war eine besondere Frau“, erzählte Alena mit sanfter Stimme. „Das fanden alle, die mit ihr zu tun hatten.“
„Auch Ihr Halbbruder? Schließlich war sie ja nur seine Stiefmutter.“
„Vasilii hat sie über alles geliebt. Als meine Eltern sich in St. Petersburg kennenlernten, wo meine Mutter als Englischlehrerin arbeitete, war er vierzehn Jahre alt. Seine eigene Mutter starb, als er sieben Jahre war. Von Anfang an hat er sich gewünscht, dass die beiden heirateten.“
Kiryl hörte Alena aufmerksam zu und ließ sie nicht eine Sekunde lang aus den Augen.
„Meine Mutter war in St. Petersburg sehr glücklich“, fuhr sie fort. „Gemeinsam mit meinem Vater waren wir fast jeden Winter dort. Es ist so eine romantische Stadt. Wenn die Newa gefroren ist und die Lichter der Altstadt im Schnee glitzern, ist es wie in einem Märchen. Und im Sommer, wenn die Sonne erst ganz spät untergeht, trifft sich die ganze Bevölkerung auf den kleinen Inseln im Flussdelta. Ich habe immer davon geträumt …“
„Dass Sie sich eines Tages dort verlieben?“
Alena schüttelte den Kopf. „Nein, so romantisch bin ich nun auch wieder nicht. Aber ich habe mir gewünscht, die Stadt einmal mit jemandem zu besuchen, der mir sehr nahe steht.“ Mehr sagte sie nicht, weil sie sich ihm gegenüber
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