Julia Extra Band 357
Dann würde sie wieder behaupten, sie spüre ihr Ende nahen. Das ertrage ich nicht, dachte Thomas.
Ihm blieb nur eine Lösung: Er musste bis zum vierten Juli eine Verlobte aus dem Hut zaubern! Nachdem eine angemessene Zeitspanne verstrichen war, würde seine „Verlobte“ ihm dann den Laufpass geben. Wenn ich entsprechend untröstlich reagiere, hört Nana Jo hoffentlich auf, mich unter Druck zu setzen, vergisst ihre Albträume und lebt glücklich und zufrieden wie zuvor. Natürlich war das ganz schön viel verlangt. Thomas seufzte und machte verzweifelt die Augen zu.
Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn wieder auf. „Entschuldige die Störung, Thomas.“
Schnell riss er die Augen wieder auf. Seine Sekretärin Annette stand an der Tür und warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie.
„Kopfschmerzen.“ Das war nicht einmal gelogen. Heute war Montag und spätestens bis Donnerstag musste er einen Ausweg gefunden haben. In seinen Schläfen pochte es tatsächlich. Er machte Anstalten, sich aus seinem Chefsessel zu erheben. „Ich glaube, ich mache heute früher Schluss.“
„Oh.“ Unwillig spitzte Annette die Lippen.
„Ist das ein Problem?“
„Nein, nein. Allerdings hätte die Vorsitzende des Vereins zur Alphabetisierung dich gern kurz gesprochen.“
„Jetzt gleich?“
Annette nickte.
Verwundert warf Thomas einen Blick auf seinen Kalender. „Ich kann mich gar nicht an diesen Termin erinnern.“
„Sie hat ja auch keinen vereinbart, sondern ist hier auf Verdacht aufgetaucht. Aber wenn du Kopfschmerzen hast …“ Verständnisvoll schüttelte Annette den Kopf. „Ich richte ihr aus, dass sie einen Termin machen soll. Wie wär’s nächste Woche?“
„Nein, ist schon in Ordnung. Schick sie rein!“ Thomas rieb sich die schmerzenden Schläfen. „Vermutlich geht es um eine Spende, oder?“
„Vermutlich.“ Annette lächelte aufmunternd.
Drei Dinge fielen Thomas sofort auf, als die junge Frau in sein Büro kam. Erstens wie klein und zierlich sie war, trotz der hochhackigen grauen Pumps, die zur Farbe ihres konservativ geschnittenen Hosenanzugs passten. Knapp einen Meter sechzig schätzte er. Zweitens: ihr Mund mit vollen sinnlichen Lippen, die sich zu einem Lächeln geformt hatten, das die für eine Blondine erstaunlich dunklen Augen strahlen ließ. Eine Stupsnase mit frechen Sommersprossen und der kinnlange Bob rundeten das Bild ab. „Niedlich“ war die Bezeichnung, die ihm bei diesem Anblick spontan einfiel. Drittens: Sie trug keinen Ehering, wie er erleichtert feststellte. Außer Perlohrringen trug sie überhaupt keinen Schmuck.
Forschend ließ er den Blick über sie gleiten. Beschämt und fasziniert zugleich schob er den absurden Gedanken sofort beiseite. Oder sollte er doch …? Nein!
„Guten Tag, Mr Waverly. Ich bin Elizabeth Morris.“ Höflich streckte sie die rechte Hand zur Begrüßung aus. „Vielen Dank, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich erübrigen können.“
Er schüttelte ihr die Hand. Die war klein und weich, doch der Händedruck war fest und geschäftsmäßig. Das gefiel ihm. Nichts verabscheute er so sehr wie einen laschen Händedruck. Diese zierliche Frau, die kaum alt genug sein dürfte, einen Drink zu bestellen, machte einen zupackenden Eindruck.
„Setzen Sie sich doch.“ Thomas machte eine einladende Geste.
„Sie können sich bestimmt denken, dass ich hier bin, um Sie um eine Spende zu bitten.“ Wieder bogen sich die sexy Lippen zu einem Lächeln.
Es gefiel Thomas, dass sie gleich zur Sache kam. Langsam verschwanden seine Kopfschmerzen. Er verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch und erklärte sachlich: „Waverly Enterprises ist immer bereit, einen guten Zweck zu unterstützen. Verraten Sie mir, worum es bei Ihrem Projekt geht?“
Erleichtert atmete sie auf, weil er sie nicht gleich wieder vor die Tür setzte. „Der Verein zur Alphabetisierung hilft Erwachsenen in unserer Gemeinde, lesen zu lernen.“
„Ich habe gar nicht gewusst, dass es in Ann Arbor Analphabeten gibt.“
„Erstaunt sie das?“, fragte sie neugierig.
„Ja, schon.“ Immerhin handelte es sich bei Ann Arbor um eine Universitätsstadt. Insbesondere die medizinische Fakultät der Universität Michigan gehörte zu den besten in ganz Nordamerika.
„Natürlich leben hier viele Wissenschaftler und andere Einwohner, die über ein hohes Bildungsniveau verfügen. Trotzdem gibt es auch hier und in den umliegenden Orten Menschen, die gar nicht oder nur sehr
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