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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Jules Verne
    Schwarz-Indien
    Mit 45 Illustrationen von J. Férat

    Titel der Erstausgabe:
    Les Indes noires (Paris 1877)

    Nach zeitgenössischen Übersetzungen
    überarbeitet von Günter Jürgensmeier

    1. KAPITEL
    Zwei sich widersprechende Briefe
    — 6 —
    Mr. J. R. Starr, Ingenieur
    30, Canongate
    Edinburgh
    Wenn Mr. James Starr so gütig sein will, sich morgen zu den
    Kohlenbergwerken von Aberfoyle, Grube Dochart, Yarow-
    Schacht, zu begeben, wird er dort eine ihn sehr interessie-
    rende Nachricht erhalten.
    Mr. James Starr wird im Lauf des Tages am Bahnhof von
    Callander erwartet von Harry Ford, dem Sohn des früheren
    Obersteigers Simon Ford.
    Um Diskretion wird gebeten!
    So lautete ein Brief, den James Starr früh am 3. Dezember
    18.., mit dem Poststempel Aberfoyle, Grafschaft Stirling,
    Schottland, zugestellt erhielt ...
    Sein Neugierde wurde mächtig erregt. Der Gedanke an
    eine Mystifikation kam ihm gar nicht in den Sinn. Seit lan-
    gen Jahren schon kannte er Simon Ford, einen der alten
    Bergwerkführer in den Minen von Aberfoyle, denen er als
    technischer Direktor oder ›Viewer‹, wie die Engländer sa-
    gen, während eines Zeitraums von 20 Jahren selbst vorge-
    standen hatte.
    James Starr war ein Mann von guter, kräftiger Konstitu-
    tion, den man trotz seiner 55 Jahre gut für einen 40er halten
    konnte. Er entstammte als eines der hervorragendsten Mit-
    glieder einer alten, angesehenen Familie Edinburghs. Seine
    Arbeiten gereichten jener ehrenwerten Vereinigung der In-

    — 7 —
    — 8 —
    genieure zur Ehre, die die kohlenreiche Unterwelt des Ver-
    einigten Königreichs in Cardiff wie bei Newcastle und in
    den niederen Grafschaften Schottlands ausbeuteten. In der
    Tiefe der geheimnisvollen Kohlenbergwerke von Aberfoyle,
    die an die Gruben von Alloa grenzen und einen Teil der
    Grafschaft Stirling einnehmen, hatte sich James Starr seinen
    überall mit Achtung genannten Namen erworben und dort
    einen großen Teil seines Lebens verbracht. Außerdem ge-
    hörte er als Vorsitzender der ›Altertumsforschenden Gesell-
    schaft Schottlands‹ an, war eines der aktivsten Mitglieder
    der Royal Institution, und lieferte der Edinburgh Review
    ziemlich häufig sehr beachtenswerte Beiträge. Mit einem
    Wort, er zählte zu jenen praktischen Gelehrten, denen Eng-
    land sein Emporblühen, seinen Reichtum verdankt, und er
    nahm auch einen hohen Rang ein in der alten Hauptstadt
    Schottlands, die in materieller und geistiger Beziehung den
    ihr beigelegten Namen ›das nordische Athen‹ unzweifelhaft
    verdient.
    Bekanntlich haben die Engländer für ihre ausgedehn-
    ten Kohlendistrikte einen sehr bezeichnenden Namen er-
    funden. Sie nennen sie ›Schwarz-Indien‹, und sicherlich hat
    dieses Indien noch weit mehr als Ostindien zu dem überra-
    schenden Reichtum Großbritanniens beigesteuert. Tag für
    Tag arbeitet dort ein ganzes Volk von Bergleuten daran, aus
    dem Untergrund Britanniens die Kohle, die schwarzen Dia-
    manten, zu gewinnen, jenen hochwichtigen Brennstoff, der
    für die Industrie zur unentbehrlichen Lebensbedingung ge-
    worden ist.
    Damals lag jener Zeitpunkt, der von Sachverständigen
    — 9 —
    für die Erschöpfung der Kohlenlager berechnet war, noch in
    ferner Zukunft, und niemand dachte an einen eintretenden
    Mangel, wo die Kohlenvorräte zweier Welten ihrer Ausbeu-
    tung harrten. Den Fabriken zu verschiedensten Zwecken,
    den Lokomotiven, Lokomobilen, Dampfschiffen, Gasanstal-
    ten usw. drohte kein Mangel an mineralischem Brennmate-
    rial. Der Verbrauch in den letzten Jahren hatte freilich mit
    solchen Riesenschritten zugenommen, daß einzelne Lager-
    stätten bis zu ihren schwächsten Adern ausgebeutet waren.
    Nutzlos durchbohrten und unterminierten jetzt diese auf-
    gelassenen Schächte und verwaisten Stollen den früher er-
    giebigen Boden.
    Genau so lagen die Verhältnisse bei den Gruben von
    Aberfoyle. 10 Jahre vorher hatte der letzte Hund die letzte
    Tonne Kohlen aus dieser Lagerstätte zu Tage gefördert. Das
    gesamte Material der ›Teufe‹,* die Maschinen zur mechani-
    schen Förderung auf den Gleisen der Stollen, die ›Hunde‹
    (kleine Wagen) der unterirdischen Bahnanlagen, die Förder-
    kästen und Körbe, die Vorrichtungen zur Lufterneuerung –
    kurz alles, was zur bergmännischen Tätigkeit im Schoß der
    Erde gedient hatte, war herausgeschafft und außerhalb der
    Gruben gelagert worden. Das erschöpfte Kohlenbergwerk
    glich dem Kadaver eines Mastodons von ungeheuerlicher
    Größe,

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