Julia Extra Band 357
mitbekam, hatte er ihr, Ruby, das Gefühl vermittelt, dass sie sich ihrer Weiblichkeit schämen musste. Und sie hatte sich beschmutzt gefühlt, obwohl er sie nie angefasst hatte.
Sie schreckte aus ihren Gedanken, als Raja zu ihr kam und ihr das feuchte Handtuch um die Schultern legte. „Deine Haut ist sehr empfindlich. Setz dich in den Schatten.“
Da ihr in der Sonne heiß geworden war, gehorchte sie und beobachtete schweigend, wie er sich mithilfe ihres Taschenspiegels rasierte und sich anschließend die Zähne putzte. Peinlich berührt gestand sie sich ein, dass er sie immer mehr interessierte. Hätte sie Zugang zum Internet gehabt, hätte sie sich sofort über sein Privatleben informiert. Da er wie ein Filmstar aussah, seinen eigenen Worten zufolge gern Sex hatte und unverschämt reich sein musste, gab es sicher viele Frauen in seinem Leben. Ob er heimliche Affären bevorzugte? Bestimmt musste er diskret sein, weil in seinem Heimatland strenge Moralvorstellungen herrschten. Oder hatte er irgendwo in der westlichen Welt eine Geliebte?
Ihre Fantasie ging mit ihr durch. Ruby riss sich zusammen. Selbst wenn die Frauen bei ihm Schlange standen, war es nicht ihre Sache!
Nachdem er seinen Kaftan wieder angezogen hatte, kam Raja auf sie zu. „Wir sollten jetzt etwas essen.“
Er zeigte ihr den alten Kühlschrank hinten im Zelt, der mit einer Autobatterie betrieben wurde.
„Anscheinend bist du mit dem einfachen Leben vertraut“, bemerkte sie.
„Als ich klein war, hat mein Vater mich oft zu meinem Onkel in die Wüste geschickt, der Herrscher eines Nomadenstamms ist“, erzählte er. „Aber in Najar gibt es nicht mehr viele Nomaden. Die Beduinen sind sesshaft geworden, um arbeiten und ihre Kinder zur Schule schicken zu können und weil die medizinische Versorgung besser ist. Im Ashur gibt es noch viel mehr Nomaden.“
Im Kühlschrank lagen nur etwas Obst, Gemüse, Fleisch und Brot sowie mehrere Konserven mit undefinierbarem Inhalt. „Anscheinend ist nicht vorgesehen, dass wir uns hier lange aufhalten“, bemerkte Raja, während er ihr eine Tasse Kaffee reichte.
Stirnrunzelnd blickte Ruby zu einem der Felsen, auf dem sie eine rote Fahne zu erkennen glaubte. „Was ist das dahinten?“
„Eine Decke, die ich an einem Stock befestigt habe. Sie müsste aus der Luft gut zu sehen sein …“
„Du bist da hochgeklettert ?“, rief sie entsetzt, weil die Wand fast senkrecht war.
„Es war nicht besonders schwierig.“ Lässig zuckte er die Schultern. „Leider ist kein Anzeichen menschlicher Zivilisation zu sehen, so weit das Auge reicht.“
„Aus dem Grund haben die Entführer diesen Ort sicher auch ausgesucht“, meinte sie trocken. „Wenigstens habe ich keine Familie, die sich Sorgen um mich machen könnte. Und wie ist es bei dir?“
„Ich habe einen Vater, einen jüngeren Bruder, zwei Schwestern und einen Haufen anderer Verwandter. Am meisten Gedanken mache ich mir allerdings um meinen Vater. Durch den Stress könnte sich sein Zustand verschlechtern.“ Für einen Moment presste er die Lippen zusammen. „Aber ich kann es nicht ändern.“
Er tat ihr leid. „Ich habe keine Verwandten in Ashur, oder?“
„Nur entfernte, soweit ich weiß.“
Dass Raja so gut für ihr leibliches Wohl sorgte, ärgerte Ruby. Er schaffte es, mit wenigen Zutaten eine einfache Mahlzeit über dem offenen Feuer zuzubereiten, während es für sie sogar in einer modernen Küche eine Herausforderung dargestellt hätte. Ihre Mutter war eine schlechte Köchin gewesen, und sie, Ruby, konnte nur einfache Snacks machen. Da Stella hervorragend kochte, hatte sie bisher auch keine Notwendigkeit gesehen, es zu lernen.
Nun fühlte sie sich jedoch hilflos, und das kratzte an ihrem Stolz. Bisher war sie Raja nur zur Last gefallen, und sie wollte auf keinen Fall von ihm abhängig sein. Deshalb versuchte sie, sich an diesem Nachmittag nützlich zu machen. Sie faltete ihre Sachen zusammen und tat sie in den Koffer, räumte im Zelt auf und schüttelte die Matten aus und spürte anschließend das Geschirr. Dann ging sie in der Oase umher und sammelte Zweige für das Feuer. In der sengenden Hitze wurde sie schnell müde, und sie war frustriert angesichts der Vorstellung, den Sommer in einem Land wie diesem zu verbringen. Als sie es nicht mehr aushielt, kühlte sie sich wieder in dem Wasserloch ab und setzte sich danach in den Schatten eines Felsens. Während sie wünschte, sie hätte ein Gummi, um ihr Haar zusammenzubinden, sah sie ihren
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