Julia Extra Band 357
hier aus führte. Und da sie ihn kaum unterstützen konnte, fühlte sie sich schuldig.
Je länger sie in Ashur war, desto unsicherer wurde sie, was ihre eigenen Bedürfnisse betraf. Raja hatte sie mit den besten Absichten geheiratet und bemühte sich, aus ihrem platonischen Verhältnis eine dauerhafte Beziehung zu machen. Er wollte, dass sie mit ihm verheiratet blieb, aber er setzte sie nicht unter Druck, was sie ihm hoch anrechnete. Er nahm die Schuld für die Unstimmigkeiten zwischen ihnen zwar auf sich, aber ihr war klar, dass sie einen großen Teil dazu beigetragen hatte, weil sie ihm nicht hatte widerstehen können. Es machte alles komplizierter, weil sie mehr von ihm wollte, als er ihr je geben konnte. Allerdings konnte sie ihm kaum einen Vorwurf daraus machen, weil sie diejenige gewesen war, die auf einer Zweckehe bestanden hatte.
Inzwischen kam es ihr beinah kindisch vor, dass sie ihm aus dem Weg ging und auch im Bett auf Distanz blieb. Außerdem war sie sehr angespannt, weil ihre Regel ausgeblieben war. Vielleicht spielte ihr Zyklus nur verrückt. Aber in ihrem tiefsten Inneren fürchtete sie, sie könnte schwanger sein, zumal ihre Brüste neuerdings sehr empfindlich waren. Es sah tatsächlich so aus, als würde sie nun den Preis für ihre leidenschaftliche Begegnung in der Wüste zahlen.
„Das kleine Mädchen, das bei dir war …“, begann Raja schließlich leise, woraufhin Ruby sich sofort verspannte.
„Leyla? Was ist mit ihr?“
„Fährst du jeden Abend zum Waisenhaus?“
„Hast du ein Problem damit?“, verteidigte sie sich.
„Sie scheint sehr an dir zu hängen. Meinst du, es ist klug?“, hakte er sanft nach. „Sie wird sehr traurig sein, wenn du wieder aus ihrem Leben verschwindest.“
Zorn stieg in ihr auf, und sie ballte die Hände zu Fäusten, um ihre Gefühle zu unterdrücken. „Ich habe nicht vor zu verschwinden.“
Daraufhin legte Raja eine Hand auf ihre. „Wir werden das Land morgen für einige Wochen verlassen. Wahrscheinlich wirst du dann nicht mehr so viel Zeit haben.“
„Ich … ich hatte mit dem Gedanken gespielt, Leyla zu adoptieren“, fasste sie zum ersten Mal in Worte, was ihr seit vierzehn Tagen durch den Kopf ging. „Bestimmt hältst du mich für verrückt, aber ich habe sie sehr ins Herz geschlossen. Und ich würde ihr gern ein Zuhause geben.“
Sichtlich verblüfft, betrachtete Raja sie. „Du willst dich doch von mir scheiden lassen…“
Sie runzelte die Stirn. „Irgendwann, ja, aber …“
„Dann hast du es dir wohl nicht richtig überlegt“, erklärte er. „Das Familiengericht in Ashuri würde nicht zulassen, dass eine Ausländerin ein Kind adoptiert. Und du bist wohl kaum bereit, sie hier in ihrer Heimat aufwachsen zu lassen.“
„Ich würde sie lieben“, sagte sie leise, als die Limousine vor einem Seiteneingang zum Palast hielt. „Und Liebe ist das, was Leyla am meisten braucht.“
„Liebe ist nicht immer genug“, gab er leise zu bedenken.
Ruby warf ihm nur einen wütenden Blick zu und eilte Raja voraus, wobei sie auf dem Weg zu ihrer Suite immer zwei Stufen auf einmal nahm. Ihr Herz raste, weil sie so aufgebracht war. Nachdem sie endlich den Mut aufgebracht hatte, ihren Wunsch in Worte zu fassen, hatte Raja all ihre Hoffnungen zunichtegemacht. Natürlich brauchte sie nicht einmal über eine Adoption nachzudenken, wenn sie vorhatte, sich irgendwann von ihm scheiden zu lassen. Aber wollte sie sich wirklich von ihm trennen?
Wann würde sie das tun können, ohne dass es sich auf die politische Situation auswirkte? Sicher nicht in absehbarer Zeit. Zerknirscht musste sie sich eingestehen, dass sie völlig überstürzt gehandelt hatte. Sie hatte nicht in die Zukunft geblickt. Ihr war nicht klar gewesen, dass eine kurzfristige Liaison schlimmere Folgen für ihr Geburtsland haben könnte als eine Absage an Raja. Eine Scheidung würde eher zu politischen Unruhen und wirtschaftlicher Instabilität führen. In der Hinsicht hatte er recht, denn sie hatte inzwischen selbst erlebt, welche Bedeutung ihre Ehe als Symbol für die Wiedervereinigung und Einheit hatte. Als plötzlich das Bild von Leylas tränenverschmierten Gesicht vor ihrem geistigen Auge auftauchte, krampfte ihr Herz sich zusammen.
„Was weißt du schon von Liebe?“, erkundigte Ruby sich herausfordernd, während Raja ihnen von dem Pfefferminztee einschenkte, der auf einem Tablett für sie bereitstand. „Warst du überhaupt schon mal verliebt?“
„Einmal, und das hat mir gereicht“,
Weitere Kostenlose Bücher