Julia Extra Band 362
Stace praktisch schon ihr ganzes Leben hier.
„Diese Drohung kommt mir irgendwie bekannt vor.“ Frank stützte seine massigen Hände auf den Tresen. „Ich habe sie schon mindestens hundert Mal gehört.“ Lachend hob er die Schürze hoch und hielt sie Stace hin.
„Dieses Mal meine ich es ernst.“ Sie ignorierte die Schürze und biss erneut vom Berliner ab. Der Zuckerguss schmolz ihr auf der Zunge. Himmlisch!
„Hat Walter dir mal wieder das Leben schwergemacht? Du weißt doch, dass er es gar nicht so meint.“
„Er ist der mürrischste Mann in ganz Boston. Nein, in ganz Massachusetts.“
Frank lachte amüsiert. „In den ganzen Vereinigten Staaten.“
Nun musste auch Stace lachen. „Genau!“ Sie schob sich auf einen Barhocker und seufzte schwer. „Warum muss er sich immer an einen von meinen Tischen setzen?“
„Er mag dich eben.“
Walter war Stammgast im Morning Glory, obwohl er ständig etwas zu bemängeln hatte. Nie konnte man es ihm recht machen. Und jeden Morgen nahm er dort Platz, wo Stace bediente, als wäre er beauftragt, ihr den Tag zu verderben.
„Heute hat er mir vorgeworfen, die langsamste Kellnerin des Universums zu sein, und sich beschwert, sein Wasser wäre schal.“
„Schales Wasser?“ Frank zog eine Braue hoch. „Er kommt wirklich immer wieder auf neue Ideen.“
„Ja, das muss man ihm lassen.“ Lachend schob sie sich das letzte Stück Berliner in den Mund und band sich die Schürze wieder um. „Also gut, dann mache ich eben doch weiter. Aber wenn du nicht bald eine weitere Bedienung einstellst, bist du mich wirklich los“, fügte sie drohend hinzu.
Seit zwei Wochen befand Irene sich nun im Mutterschaftsurlaub, und Stace musste die ganze Arbeit allein bewältigen. Natürlich erhielt sie dadurch mehr Trinkgeld, und sie konnte wirklich jeden Cent gebrauchen, aber immer, wenn sie endlich Feierabend hatte, konnte sie sich nur noch zur U-Bahn-Station schleppen. Auf den acht Stationen Fahrt schlief sie jedes Mal fast ein und schaffte kaum noch die wenigen Schritte bis zu ihrem Häuschen. Dabei hätte sie besonders wach sein müssen, denn seit kurzer Zeit war sie nicht mehr nur für sich allein verantwortlich.
Frank lächelte mitfühlend. „Du bist erschöpft, Kleines.“
„Ach wo! Ich habe mich nur mal wieder über Walter aufgeregt.“ Sie sah Frank forschend an. „Ich mache mir mehr Sorgen um dich, Frank. Der Umsatz ist zurückgegangen, und du arbeitest zu schwer.“
Verschmitzt drohte der ältere Mann ihr mit dem Finger. „Du solltest mich besser kennen, Stace. Ich würde jammern, wenn es mir schlecht ginge.“
„Ha, ha. Du hast in deinem ganzen Leben noch nicht gejammert.“ Sie wurde ernst. „Seit einer halben Ewigkeit redest du davon, dich in den Ruhestand zu verabschieden. Daraus wird wohl erst mal nichts. Aber du solltest wenigstens mal Urlaub machen, Frank.“
„Und wer macht dann den berühmten ‚Morning-Glory-Burger‘?“
„Ich.“
Frank lachte. „Entschuldige, Stace, aber du bist ja nicht mal imstande, irgendetwas mit Käse zu überbacken. Ganz wie dein Vater. Gott hab ihn selig. Gut in der Buchhaltung und im Umgang mit den Gästen, aber eine absolute Niete am Herd.“ Er lächelte wehmütig. „Eins steht allerdings fest: Dein Vater wäre mächtig stolz auf dich, Stace.“
Sie ließ den Blick durchs Lokal schweifen. Ihr Vater hatte das Haus selbst gebaut, das Lokal selbst eingerichtet. Auch die Wände hatte er selbst mit den hübschen Prunkwinden auf gelbem Grund verziert. Sein Geist war noch immer spürbar. Stace vermisste ihren Vater sehr. Hier, in seinem Lokal, fühlte sie sich ihm am nächsten. In diesem Moment schien er ihr ganz nah zu sein. „Danke, Frank.“
Der senkte verlegen den Kopf und spielte mit einem Löffel, der auf dem Tresen gelegen hatte. „Wie kommst du eigentlich mit Jeremy zurecht?“
„Geht so.“ Ihr Neffe war wütend auf seine Mutter und den Rest der Welt. Bisher hatte Stace vergeblich nach einer Aufgabe für ihn gesucht, die ihn davon ablenken würde, dass seine Mutter ihn im Stich gelassen hatte. Stace stöhnte leise. Das war nicht ihre einzige Sorge, denn nun galt es, auch Jeremy zu ernähren. Außerdem musste sie eine Möglichkeit finden, den Umsatz im Lokal wieder zu erhöhen.
„Der arme Junge hat es nicht leicht“, meinte Frank. „Bitte sag Bescheid, wenn ich euch irgendwie helfen kann.“
Dankbar tätschelte Stace ihm die massige Hand. Der alte Mann erwies sich sowieso schon als große Stütze: Jeremy war
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