Julia Extra Band 367
als der arme Junge auffiel, der sich nur aufgrund eines Stipendiums leisten konnte, eine solche Schule zu besuchen.
Aber vielleicht hatte Ciro D’Angelo ihr sogar einen Gefallen getan. Womöglich war es höchste Zeit, sich einzugestehen, dass nichts mehr so wie früher war. Sie war nicht länger die geliebte, behütete Tochter des Hauses, weil nun ihre beiden Eltern tot waren, ganz einfach. Ihre Stiefmutter war zwar nicht die sprichwörtliche „böse Stiefmutter“ aus dem Märchen, aber sie liebte Lily auch nicht – sie duldete sie lediglich. Und seit dem Tod ihres Vaters hatte Lily zunehmend empfunden, dass sie für Suzy nur eine Belastung war. Deshalb, um ihren Stolz zu wahren, zwang sie sich, jetzt die Worte auszusprechen: „Dies ist das Haus meiner Stiefmutter. Sie ist momentan nicht hier, wird aber bald zurück sein. Sehr bald sogar, weshalb Sie jetzt wirklich gehen sollten.“
Ciro erhob sich ärgerlich. Warum, zum Teufel, hatte ihre Stiefmutter ihr nicht gesagt, dass das Haus verkauft worden war? Die Verträge waren bereits unterschrieben. Schon Ende nächster Woche würde das Haus ihm gehören und er würde damit beginnen, es von einem etwas vernachlässigten alten Gutshaus mit morbidem englischem Charme in ein hochmodernes kleines, aber feines Hotel im Landhausstil zu verwandeln. Und was würde dann mit dieser blonden Schönheit sein?
Er machte einen letzten Versuch, ihr ein Lächeln zu entlocken und ihre schönen blauen Augen zum Strahlen zu bringen. „Aber ich habe meinen Kuchen ja noch gar nicht gegessen“, protestierte er zerknirscht und zwinkerte ihr übermütig zu.
Kaum eine Frau konnte dem widerstehen, und auch Lily musste all ihre Willenskraft aufbieten, um sich dagegen zu wappnen. Was für ein Schauspieler er doch war! Fast hätte er sie mit seinem Charme eingewickelt. „Oh, wenn Sie wollen, bekommen Sie ganz sicher noch eine Gelegenheit, ihn zu probieren. Im Dorf ist ein Teeladen, der genauso so einen verkauft. Sie können ihn dort jederzeit kaufen“, erwiderte sie ungerührt. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen … ich muss mich um den Kuchen im Ofen kümmern und kann es mir nicht leisten, die ganze Zeit mit Ihnen zu verplaudern. Einen schönen Tag noch, Mr D’Angelo.“
Kühl lächelnd bugsierte sie ihn hinaus und schloss die Tür energisch hinter ihm zu. Ehe Ciro begriff, wie ihm geschah, stand er wieder allein im Garten.
Frustriert und einigermaßen verwirrt blickte er auf das üppig blühende Geißblatt, das die massive Eichentür umrankte. Noch nie hatte eine Frau ihn vor die Tür gesetzt! Geschweige denn, ihm das Gefühl gegeben, er müsse sterben, wenn es ihm nicht gelänge, ihre rosigen Lippen zu küssen … Und keine Frau hatte ihn je so angesehen, als wäre es ihr völlig egal, ob sie ihn jemals wiedersehen würde!
Allmählich wich sein ebenso unerklärliches wie unbändiges Verlangen nach dieser fremden Schönen einem ganzen Cocktail unterschiedlichster Gefühle, die er gar nicht genauer unter die Lupe nehmen wollte.
Weil ihm plötzlich bewusst wurde, dass er gar nicht an Eugenia gedacht hatte. Nicht eine Sekunde.
2. KAPITEL
„Ich verstehe es nicht.“ Lily war kreidebleich geworden und sah ihre Stiefmutter ungläubig an.
„Was gibt es da nicht zu verstehen?“ Suzy Scott stand neben den großen, bleiverglasten Fenstern im Salon und zeigte keinerlei Mitgefühl für ihre Stieftochter. „Es ist doch ganz einfach, Lily. Ich habe das Haus verkauft.“
Lily schüttelte verzweifelt den Kopf. „Aber das kannst du doch nicht tun!“
„Meinst du?“ Suzy zog die schmal gezupften schwarzen Brauen spöttisch hoch. „Nun, ich denke doch, und ich habe es getan. Es ist eine vollendete Tatsache. Die Verträge sind unterschrieben und ausgetauscht. Tut mir leid, Lily, aber ich hatte wirklich keine Wahl.“
„Aber warum? Dieses Haus ist im Besitz meiner Familie seit …“
„Ja, ich weiß“, fiel Suzy ihr gelangweilt ins Wort, „seit Hunderten von Jahren. Dein Vater hat es mir oft genug gesagt. Aber davon kann ich mir ganz ehrlich auch nichts kaufen, oder? Er hat mir schließlich keinerlei Pension hinterlassen, Lily.“
„Er wusste doch nicht, dass er so bald sterben würde!“
„Und ich brauche das Geld“, fuhr Suzy ungerührt fort. „Ich muss von irgendetwas leben.“
Es lag Lily auf der Zunge, ihrer Stiefmutter vorzuschlagen, sich zur Abwechslung einmal eine Arbeit zu suchen. Aber sie wusste, dass dies so sinnlos wäre, wie Suzy vorzuschlagen, sich
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