Julia Extra Band 367
jedes Recht, sich dort zu befinden. Als hätte dieser milde Sommertag nur auf ihn gewartet.
Mit heimlicher Bewunderung beobachtete Lily, wie er das makellos gepflegte Grün des Rasens überquerte. Ein eleganter grauer Anzug, kombiniert mit einem blütenweißen Hemd, betonte seinen männlich schönen, athletischen Körper. Ein Gedicht von einem Mann, dachte Lily sehnsüchtig – sie hätte ihn noch ewig anschauen können.
Als er näher kam, fiel ihr als Erstes der atemberaubend sinnliche Ausdruck seines markanten Gesichts auf. Dunkle unergründliche Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern. Eine aristokratische Nase, ein energisches Kinn mit einem Schatten von Bartstoppeln und dazu ein Mund, bei dessen Anblick sich Lily sofort ausmalte, wie es wohl wäre, von ihm geküsst zu werden. In dem Moment blieb er auf der Schwelle zur Küche stehen. Heißes Verlangen durchzuckte sie so unvermittelt, dass ihr schwindlig wurde. Wie lange war es her, dass sie sich derart zu einem Mann hingezogen gefühlt hatte? Sie hatte ganz vergessen, wie mächtig dieses Gefühl war.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie, bevor ihr klar wurde, wie brav und unterwürfig das klang. Trotzig suchte sie ihr Heil im Angriff. „Sie haben mich zu Tode erschreckt … sich so anzuschleichen!“
„Mir war nicht bewusst, dass ich mich angeschlichen habe.“ Sein spöttischer Blick verriet, dass ihm nicht entgangen war, wie sie ihn angesehen hatte. „Allerdings scheinen Sie mir durchaus fähig, sich gegen Eindringlinge zur Wehr zu setzen.“
Bei diesen Worten richtete er den Blick vielsagend auf ihre Hand, und Lily bemerkte, dass sie immer noch das Nudelholz umklammerte. „Ich … backe gerade einen Kuchen.“
„Was Sie nicht sagen!“
Belustigt begutachtete er den mit Mehl bestäubten Küchentisch hinter ihr, auf dem eine mit Obst ausgelegte Kuchenform und eine Zuckerdose bereitstanden. Und plötzlich war es nicht nur ihre sanfte Schönheit, die seine Sinne weckte. Der Duft von selbstgebackenem Kuchen rief Erinnerungen an eine Welt wach, auf die er kaum einen Blick hatte erhaschen dürfen. Eine Welt voll häuslicher Wärme und Gemütlichkeit. Gewohnt schonungslos schob er diese sentimentalen Vorstellungen beiseite, um sich stattdessen auf die Kuchenbäckerin zu konzentrieren.
In gewisser Weise war sie die altmodischste Frau, die er je gesehen hatte. Eine Frau, wie sie außerhalb alter Fernsehfilme eigentlich gar nicht mehr existierte. Ihre Figur war der Inbegriff von Weiblichkeit: Verlockende Rundungen und Kurven, betont durch eine mit Rüschen besetzte Schürze im Retrolook, deren Bänder die zierlichste Taille umschlossen, die man sich vorstellen konnte.
Gemeinhin galt es ja als unhöflich, andere Menschen anzustarren. Aber war es nicht sogar kränkend, wenn ein Mann es beim Anblick einer so schönen Frau nicht tat? Bewundernd schweifte sein Blick über ihr dichtes weizenblondes Haar, das sie sich mit allen möglichen Haarklammern lose hochgesteckt hatte. Feine helle Strähnen umschmeichelten ihren schlanken Nacken und die zart geröteten Wangen. Er fragte sich, ob sie sich bewusst war, was für ein Bild häuslicher Idylle sie darbot. Und was es über ihn besagte, dass er dieses Bild so unerwartet sexy fand.
„Sie wollen mich also nicht hereinbitten?“, fragte er herausfordernd.
Die Arroganz seiner Frage riss Lily aus ihrer Lethargie. Warum ließ sie es sich stumm und tatenlos gefallen, dass er sie so abschätzig begutachtete wie ein Auto bei einer Verkaufsauktion? Nahmen Männer sich nicht gerade deswegen solche Frechheiten heraus, weil die Frauen es zuließen? Hatte sie denn nichts aus der Vergangenheit gelernt?
„Nein, das will ich nicht“, erwiderte sie deshalb entschieden. „Womöglich sind Sie ein Axtmörder.“
„Ich darf Ihnen versichern, dass mir nichts so fern liegt wie Mord.“ Sein spöttischer Blick ließ ihr Herz schneller schlagen. „Und Sie sehen auch überhaupt nicht ängstlich aus“, fügte er vielsagend hinzu.
Lily schluckte. Tatsächlich hatte sie keine Angst, jedenfalls nicht im üblichen Sinn. Dennoch hatte dieser Fremde irgendetwas an sich, das ihr Herz zum Pochen brachte. „Ich bin es gewohnt, dass man sich vorstellt, wenn man unangemeldet in jemandes Küche platzt“, entgegnete sie deshalb pikiert.
Er verkniff sich ein Lächeln, denn normalerweise fühlten sich Frauen fast immer ein wenig von ihm eingeschüchtert, selbst wenn sie nicht wussten, wer er war. Diese offenbar nicht. Was ihn allein
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