Julia Extra Band 367
schon faszinierte.
Bereitwillig neigte er den Kopf wie bei einer förmlichen Vorstellung. „Ciro D’Angelo.“
Sie hielt dem Blick seiner dunklen Augen stand. „Ein ungewöhnlicher Name.“
„Ich bin ein ungewöhnlicher Mann.“
Sie hielt es für klüger, diese unverschämt arrogante Behauptung zu ignorieren. „Und Sie sind Italiener?“
„Genau genommen Neapolitaner.“ Er zuckte die breiten Schultern, als er ihren fragenden Blick bemerkte. „Das ist … etwas anderes.“
„Inwieweit?“
„Das zu erklären, könnte sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, dolcezza .“
Allein die melodiöse Art, wie er dieses dolcezza aussprach – was immer es auch bedeuten mochte – weckte in ihr den Wunsch, seine lange Erklärung über das Besondere der Neapolitaner zu hören. Aber sie argwöhnte, dass sie sich damit auf ein noch gefährlicheres Terrain begeben würde. Deshalb schaute sie ganz bewusst auf die Wanduhr neben der altmodischen Küchenzeile und sagte schroff: „Zeit, die ich leider nicht habe. Was tun Sie hier, Mr D’Angelo? Sie befinden sich nämlich auf Privatbesitz.“
Ciro nickte zufrieden, denn ihre Frage bedeutete, dass der Kauf noch nicht öffentlich gemacht worden war. Er hasste es, wenn seine Geschäfte schon durch die Presse gezerrt wurden, bevor die Tinte auf den Verträgen getrocknet war.
Allerdings fragte er sich nun auch, wer ihm da gegenüberstand. Die Frau, die ihm das Haus verkauft hatte, war mittleren Alters gewesen. Eine Suzy Scott, viel zu jugendlich gekleidet, viel zu stark geschminkt und viel zu aufdringlich. Konnte die bezaubernde Küchenfee ihre Tochter sein? Wie alt mochte sie sein? Einundzwanzig? Zweiundzwanzig? Ein so zarter makelloser Teint machte es schwer, das zu beurteilen. Aber wenn sie die Tochter des Hauses gewesen wäre, hätte sie doch sicher gewusst, dass das Haus an ihn verkauft worden war.
Sie sah ihn immer noch fragend an. Zerstreut bemerkte er die blonde Locke, die ihre Pfirsichwange streichelte. Vielleicht sollte er ja einfach gehen und zu einem passenderen Zeitpunkt zurückkommen. Doch plötzlich wollte Ciro gar nicht fort. Durch Zufall schien er in eine nostalgische Idylle hineingestolpert zu sein, die sich so sehr von seiner Welt unterschied, dass er neugierig geworden war. Er wollte die unvermeidlichen Makel dieser heilen Welt entdecken, und sich dann, in seinem Zynismus bestätigt, wieder in seine eigene Welt zurückziehen.
Also erwiderte er betont beiläufig: „Ich hatte nicht erwartet, jemanden anzutreffen.“
„Mit anderen Worten, Sie sind davon ausgegangen, dass niemand zu Hause sein würde?“ Lily rollte den ausgewalzten Teig um das Nudelholz, um ihn dann geschickt auf dem vorbereiteten Obstkuchen in der Form auszubreiten. „Sind Sie etwa ein Einbrecher?“
„Sehe ich so aus?“
Sie hielt damit inne, die Teigränder mit geübten Fingerspitzen festzudrücken, und blickte auf. Nein, ein gewöhnlicher Einbrecher wäre wohl kaum so gelassen geblieben, wenn man ihn aufgescheucht hätte. Andererseits wirkte er zweifellos fit genug für einen gewandten Fassadenkletterer, und es war aufregend, sich diesen Luxuskörper in einem hautengen schwarzen Outfit vorzustellen.
„Sie sind nicht gerade passend angezogen. Ihr teurer Maßanzug würde wahrscheinlich ruiniert, wenn Sie versuchen würden, an einer Fassade hochzuklettern“, entgegnete sie spitz. „Und falls Sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt haben, es an der Fassade dieses Hauses zu probieren, kann ich Ihnen die Mühe ersparen. Sie werden hier keine Reichtümer finden.“
Ärgerlich begann sie, den Teigdeckel mit verquirltem Ei einzupinseln. Wie überempfindlich musste sie sein, um so etwas einem völlig Fremden zu erzählen? Aber sie hatte sich in letzter Zeit wirklich sehr verletzlich gefühlt, und das launische Verhalten ihrer Stiefmutter hatte es nicht gerade leichter für sie gemacht. War es sowieso noch nie einfach gewesen, mit Suzy auszukommen, hatte sie in jüngster Zeit auch noch damit angefangen, alles von Wert aus diesem Haus in ihr Londoner Domizil zu schaffen. Wozu sie selbstverständlich das Recht hatte, wie Lily wusste. Denn Suzy hatte den gesamten Besitz ihres verstorbenen Ehemannes geerbt, einschließlich allen Geldes und dieses wunderschönen alten Gutshauses.
Immer noch traf der Schmerz Lily mit brutaler Macht, wenn sie daran dachte. Kaum neun Monate nach seiner zweiten Heirat war ihr Vater plötzlich und unerwartet verstorben und hatte sie in völliger
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