Schön scheußlich
Einleitung
Als junges Mädchen ekelte ich mich so sehr vor Schaben, dass es schon ans Pathologische grenzte - eine äußerst unpassende Art von Phobie für jemanden, der in einer slumähnlichen Wohnung in der Bronx hauste, wo die Schaben ihre Kunst der arroganten Koexistenz mit Menschen, die sie beim ersten Anblick zu erschlagen pflegen, aufs Höchste perfektioniert hatten. Mein Vater zerquetschte sie mit der bloßen Hand. Meine Mutter nahm ein Küchentuch oder einen Schuh. Mein jüngerer Bruder zermalmte sie mit jedem beliebigen Gerät oder Werkzeug, das den ekligen Krabbeltieren am nächsten lag. Nicht so ich. Gleichgültig, wie viele hundert Schaben mir über den Weg gelaufen sein mochten, egal, wie oft ich mir schon versichert hatte, dass sie weder Stachel noch Beißwerkzeuge hatten und mir wirklich nichts anhaben konnten - ich sprang an die Decke und kreischte, wann immer mir eine vor Augen kam. Mit einer Schabe im Blickfeld fand ich in keinem Raum Ruhe. Ich ertrug es aber auch nicht, ihr nahe genug zu kommen, um sie zu töten. Wenn ich den Schrank aufmachte, um ein Glas herauszuholen, und eine Schabe sah, zog ich durstig von dannen. Abend für Abend rief ich, bevor ich mich ins dunkle Badezimmer traute, meinen Bruder als eine Art Minenhund zu Hilfe, um das Licht anzumachen - ein Akt, der für Schaben dasselbe ist wie der Morgenappell für einen schlafenden Soldaten. Dem leidenschaftlichen Gestampfe und Gebrüll nach zu urteilen, das herausdrang, war es für meinen Bruder eine ziemlich ernste, aber nicht ganz unwillkommene Herausforderung.
»Okay«, sagte er, wenn er schließlich mit einem forschen Händereiben aus dem Bad auftauchte, »ich glaube, ich habe sie alle erwischt.«
Mein Ekel war einfach abgrundtief. Einmal wachte ich mitten in der Nacht auf und erblickte auf dem Rand meines Kopfkissens eine große Schabe, die mich unverwandt ansah. Eine beispiellose Dreistigkeit, denn so sehr die Schabenpopulation auch umherwuseln mochte, in mein Bett hatte sie sich bislang noch nicht gewagt. Ich schrie auf und sprang aus den Federn - doch was nun? Ich konnte nicht gut meinen Bruder wecken, und meine Eltern hatten wenig Verständnis für meine Empfindsamkeit. Vor allem aber konnte ich die Schabe nicht selbst umbringen.
Ich beschloss, meinem Feind das Feld zu überlassen, und rollte mich am Fußende zusammen. Quer statt längs im Bett, die Knie unters Kinn gezogen, den Kopf ohne Kissen auf die Matratze gedrückt, in unbequemster Lage und noch immer voller Angst brachte ich es dennoch fertig, wieder einzuschlafen. Am anderen Morgen sah ich, dass die Schabe nichts weiter gewesen war als ein Stückchen Wachsmalstift, das sich in den Kissenfalten bewegt hatte und mir zur Geisterstunde als etwas kleines, dunkles Lebendiges erschienen war.
Ich erzähle Ihnen das alles, damit Sie wissen, warum ich mein Buch Scheußlich schön genannt habe. Ich habe Schaben seinerzeit gehasst, und noch immer mag ich meine Wohnung nicht mit ihnen teilen. Aber in diesem Buch werden auch die Schaben einen Augenblick lang im Rampenlicht stehen - ob diese lichtscheuen Kreaturen dies nun zu schätzen wissen oder nicht. Ich habe über die Biologie der Schaben Dinge gelernt, die in mir das Bedürfnis geweckt haben, diesen Tieren Respekt zu zollen. Ihr Verhalten, die Vielfalt an Arten innerhalb ihrer Familie, die Anpassungen, die sie im Lauf der Evolution entwickelt haben, um mit den Menschen oder ohne sie, wie es meistens der Fall ist, leben zu können, all das ist Bestandteil einer großen Schaben-Saga. Es ist eine Geschichte von Ausdauer und Widerstand, von Sensibilität und unermüdlichem Wandel.
Wandel und Anpassung sind in der Tat das Markenzeichen der Schaben. Im Kapitel »Nichts geht über eine Schabe« berichte ich über die erstaunliche Wirksamkeit des Pestizids Combat bei dem Versuch, die städtischen Schabenpopulationen in Schach zu halten. Combat wirkte früher wirklich viel besser als ein altmodischer Sprühnebel aus der Dose, doch während ich dies hier schreibe - Ende 1994 - , haben die Schaben in meiner Washingtoner Wohnung erste Siege über die kleinen schwarzen Giftfallen errungen. Meine Küche ist mit zwei Dutzend Combat-Dosen verziert, und trotzdem überleben einige Schaben. Entweder haben die Insekten einen Mechanismus entwickelt, das Toxin zu entgiften, oder - und das ist es, was ich glaube - sie haben gelernt, es nicht mehr zu fressen. Immerhin bin ich auf Hausmäuse gestoßen, die schlau genug
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