Julia Extra Band 368
Vater anrufen. Seit sie aufgestanden war, hatte sie das Telefon mindestens zehnmal zur Hand genommen und wieder weggelegt. Sie brachte es nicht über sich, es war noch zu früh. Ein solcher Anruf würde alles Realität werden lassen. Welche Ironie des Schicksals … Jetzt, da sie ihr Ziel erreicht hatte, fand sie es schwierig, es zu akzeptieren.
Es geht um nicht mehr als eine Zeremonie und ein Stück Papier. Du musst ja nicht ewig bei ihm bleiben – und du musst auch keine Kinder mit ihm haben.
Das wäre wirklich eine ganz andere Sache. Sie hatte gedacht, sie würde sogar damit umgehen können. Jetzt allerdings wurde ihr klar, wie sehr sie sich getäuscht hatte. Wenn allein schon der Gedanke an die Hochzeitszeremonie sie dermaßen beunruhigte …
Sie ging den Korridor entlang, das Klicken ihrer Absätze hallte an der hohen Decke wider. Diese Gänge schienen sich endlos zu winden. Aber sie erinnerte sich daran, wo Maliks Gemächer gelegen hatten – am entgegengesetzten Ende des Palastes, am weitesten entfernt von den Frauenquartieren. Es war anzunehmen, dass Zahir diese Räume nun bewohnte.
Gestern Abend hatten sie davon gesprochen, einander aus dem Weg zu gehen. Und Zahir hatte versucht, sie einzuschüchtern, indem er sie daran erinnerte, dass sie nun in seinem Land war. Sie ließ sich nicht leicht einschüchtern, schließlich hatte sie sich ihr ganzes Leben lang vor starken Männern behaupten müssen. Auch vor ihrem Vater. Er hatte nie etwas von ihr erwartet und lobte sie auch nie für ihre Erfolge. Sie hatte immer Stärke zeigen müssen.
Den Thron von Altina würde sie nie besteigen können, doch am politischen Leben des Landes nahm sie aktiv teil. Sie stand keineswegs in dem Ruf, ein Mauerblümchen zu sein, sie scheute sich nicht vor Konflikten, sondern stellte sich ihnen. So wie sie jetzt auf der Suche nach dem großen, muskulösen „Konflikt“ war, mit dem sie es gestern aufgenommen hatte.
Sie musste in einige leere Räume schauen, bevor sie Zahir fand – in einem riesigen Fitnessstudio mit den modernsten Geräten sowie einem Schwimmbecken. Zahir lag mit dem Rücken auf einer Bank und stemmte Gewichte. Jedes Mal, wenn er die schwere Stange hochruckte, stieß er laut zischend den Atem durch die Zähne.
Zögernd betrat sie den Raum. Beim Anblick seines bloßen Oberkörpers weiteten sich ihre Augen. Jeder einzelne Muskel wirkte wie aus Stein gemeißelt. Nur das stete Muskelspiel bewies, dass es sich hier um einen lebenden Menschen und nicht um eine Statue handelte.
Goldene Haut, teilweise glatt und seidig, teilweise zerstört und dünn wie Papier, im Ganzen jedoch absolut faszinierend. Katherine blinzelte und sog scharf die Luft ein.
„Sollte bei diesen Übungen nicht jemand dabei sein, damit kein Unfall passieren kann?“
Abrupt legte Zahir die Stange in der Halterung ab und setzte sich ruckartig auf. „Was tun Sie hier?“
„Ich habe nach Ihnen gesucht.“
„Wie kommen Sie auf die Idee, Sie seien erwünscht?“
„Das hatte ich gar nicht erwartet.“ Sie musste sich zusammenreißen, um den Blick auf sein Gesicht gerichtet zu halten. Sie konzentrierte sich auf die Narbe an seiner Wange und hoffte, so nicht ständig an seine nackte Brust denken zu müssen. „Aber es stört mich auch nicht.“
Die Sehnen an seinem Hals traten hervor, ein Muskel in seiner Wange zuckte. „Nein, wieso sollte es auch?“
Ihr Blick wanderte automatisch weiter nach unten. „Nun … also … Darum geht es auch nicht …“
„Haben Sie jetzt genug gesehen?“ Die Frage klang mehr wie ein Knurren.
Ihr Kopf ruckte hoch, und sie sah ihm wieder gerade in die Augen. Seine Miene war verschlossen und hart. Sein Mund hatte sich zu einem höhnischen Grinsen verzogen.
„Ja.“ Hitze kroch in ihre Wangen. Nicht, dass sie noch nie einen Mann angestarrt hätte, aber die waren dann nicht halb nackt gewesen – und sie war auch noch nie dabei ertappt worden. Oder vielleicht waren die Männer einfach nur zu höflich gewesen, schließlich war sie eine Prinzessin. Zahir jedoch schien das egal zu sein.
Er beugte sich vor, hob mit leicht zitternden Fingern, wie sie bemerkte, ein weißes T-Shirt auf und zog es über. Damit verdeckte er das Narbengeflecht, das seine Haut auf einer Körperseite überzog. Es rührte von einem Schrapnellgeschoss und dem Feuer her. Katherine hatte darüber gelesen … Ihr Magen zog sich zusammen, jeder klare Gedanke schien sich plötzlich aus ihrem Kopf verflüchtigt zu haben.
„Ich hatte
Weitere Kostenlose Bücher