Julia Extra Band 371
sie deinen Vater und nicht die Wüste?“
Rakhal schüttelte den Kopf, doch ganz abweisen konnte er den Gedanken nicht. Schließlich war er in London gezeugt worden. „Seitdem fühlt mein Vater sich schuldig. Er hätte seiner Frau nicht in London erliegen sollen. Die Riten waren nicht eingehalten worden, und als meine Mutter nach Alzirz zurückkehrte, war sie bereits schwanger. Sie blieb im Palast, doch trotz aller Bemühungen wurde sie immer schwächer. Sie kam viel zu früh nieder und starb bei der Geburt.“ Er sah Natasha nachdenklich an. „Ich kann nicht von dir verlangen, dass du unsere Gebräuche verstehst, aber ich möchte dich bitten, sie zu durchlaufen, denn nur dann kann ich dich beschützen.“
Ja, das begriff sie. „Ich habe heute mit meinem Bruder gesprochen.“
Zuerst hatte sie sich als Gefangene hier in der Wüste gefühlt und war überrascht gewesen, als Amira ihr ein Telefon gebracht hatte, weil ihr Bruder mit ihr reden wollte. Inzwischen telefonierten sie fast jeden Tag.
„Wie geht es ihm?“
„Er hat sich entschuldigt“, antwortete sie, „Und ich glaube, diesmal meint er es wirklich ernst.“ Sie sah zu ihm hin, sah sein markantes Profil, und sie wollte ihn etwas fragen. „Ich habe nachgedacht …“
„Die Wüste bewirkt das.“
„Ja, ich weiß. Ich war so verärgert über meine Eltern, weil sie bestimmt hatten, dass das Haus verkauft werden sollte. Ich glaube, sie wussten um Marks Probleme und haben mich beschützen wollen.“ Die Worte sprudelten jetzt aus ihr heraus. „Wenn ich mir vorstelle, das Haus wäre auf Marks und meinen Namen umgeschrieben worden …“ Sie erschauerte, wenn sie sich die Konsequenzen vorstellte.
„Sie beschützen dich noch immer“, sagte Rakhal leise.
„Glaubst du das wirklich?“
„Natürlich.“
„Meinst du, deine Mutter passt auf dich auf?“
Er blieb stehen und zuckte mit den Schultern. „Hast du schon von Sandteufeln gehört?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Aber von Tornados, oder?“
Sie nickte.
„Manchmal gibt es hier kleine Wirbelstürme.“ Er sah zum Horizont, als könnte er mit seinen Gedanken einen Sandsturm heraufbeschwören. „Manchmal meine ich, sie tanzen zu sehen, und höre dann ihr Lachen. Vor fünf Jahren schon hat mein Vater mich zur Heirat gedrängt.“ Er lächelte über ihr schockiertes Gesicht. „Hier in Alzirz heiraten wir nur einmal im Leben.“
„Aber du hast dich gegen ihn aufgelehnt.“
„Einfach war es nicht“, sagte er, „schließlich weiß ich, wie gespannt unser Volk auf einen Thronerben wartet. Ich kam hier heraus in die Wüste, um nachzudenken, und da habe ich ihr Lachen gehört, so als würde sie mir ihren Segen für meine Weigerung geben. Aber vielleicht habe ich mich geirrt. Vielleicht hätte ich damals heiraten sollen.“ Er sah ihr in die Augen. „Das hätte dir viel Ärger und Aufregung erspart.“
Rakhal fühlte sich nicht wohl bei diesem Gespräch, er hatte viel zu viel von sich preisgegeben. Er ging wieder weiter. „Auf jeden Fall ist sie jetzt in ihrer geliebten Wüste.“
Natasha ließ den Blick über eine Landschaft schweifen, die wild und gnadenlos und gleichzeitig von überwältigender Schönheit war, dann sah sie den Mann an, der die gleichen Eigenschaften hatte. Sie sehnte sich nach seinem Mund und seinen Gedanken, aber nicht nach seinen Riten. „Sie hat sich nicht nach der Wüste verzehrt, sondern nach deinem Vater.“
„Genug davon!“
„Nun, deine Eltern waren offensichtlich sehr glücklich darüber, sich in London wiederzusehen.“ Natasha würde sich nicht den Mund verbieten lassen. „Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als in den Palast weggesperrt zu werden, vor allem …“, sie schluckte, „… vor allem, wenn ich meinen Mann liebe und weiß …“ Sie konnte die Verachtung nicht aus ihrer Stimme heraushalten, denn sie verabscheute seine Lebensweise. „Deine Mutter muss es gehasst haben, dass er in seinen Harem ging.“
„Ich sagte, es ist genug!“ Rakhal brauchte sich keine Vorhaltungen von einer Frau anzuhören, die nur wenige Tage in seinem Land verbracht hatte. „Du verurteilst unsere Lebensweise und verteidigst deine. In meinem Land werden Frauen verehrt und geschätzt, man kümmert sich um sie. Du dagegen musst Angst vor dem eigenen Bruder haben. Und gibt es etwa Treue in deinem Land?“
„Meistens schon.“
„Unsinn“, brauste er auf. „In deinem Land werden ständig Herzen gebrochen, wegen Regeln, die nicht einzuhalten sind. Hier
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