Julia Extra Band 372
kümmern. Sie musste eine voraussichtlich langweilige Sitzung überstehen und sich dabei möglichst aus dem Blickfeld des neuen Chefs halten.
Als sie den Flur entlangging, spürte sie den Fremden nur wenige Schritte hinter sich. Am Eingang der Konferenzräume hielt sie inne. Er blieb direkt neben ihr stehen.
Einen Moment verharrten sie gemeinsam und lasen das Schild an der Tür. „Wir haben offenbar dasselbe Ziel“, stellt er trocken fest.
Im selben Augenblick veränderte sich seine Haltung. Enttäuscht musste Imogen mit ansehen, wie er sich zurückzog. Sein Blick, eben noch blitzend und verheißungsvoll, wurde distanziert. Seine Stimme, gerade noch vergnügt flirtend, wurde geschäftsmäßig.
Er hielt ihr die Tür auf. „Nach Ihnen.“ Sie brachte kein Wort heraus. Mühsam humpelte sie in die hinterste Ecke des Raumes. Oh nein! Er hatte einen amerikanischen Akzent. Er war doch nicht etwa …?
„Bitte entschuldigen Sie alle meine Verspätung. Ich habe noch ein wenig die Sehenswürdigkeiten von Edinburgh genossen.“
Imogen krümmte sich innerlich. Sehenswürdigkeiten? So konnte man das auch nennen.
„Danach habe ich beim Umziehen ein wenig länger gebraucht als gedacht.“ Sein Lächeln schien den ganzen Raum mit einem Strahlen zu erfüllen. Imogen wusste nur zu gut, was ihn aufgehalten hatte. Eine seiner neuen Angestellten hatte versucht, in sein Zimmer einzudringen, während er unter der Dusche stand.
„Mein Name ist Ryan Taylor. Bitte nennen Sie mich alle Ryan.“
Imogen schloss die Augen, als sich ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie, der Boden unter ihren Füßen würde sich auftun und sie verschlingen. Als sie die Augen wieder aufschlug, musste sie feststellen, dass das Unmögliche nicht geschehen war und sie stattdessen in einer der peinlichsten Situationen ihres Lebens steckte.
Sie wünschte, sie hätte sich besser vorbereitet. Dann hätte sie wissen können, wer ihr neuer Chef war. Aber sie hatte in den letzten drei Monaten jede freie Minute damit verbracht, für ihr Weiterbildungsstudium zu lernen. Ihr Studium wurde von Mackenzie Forrest gefördert, und sie war entschlossen, die bestmöglichen Zensuren zu bekommen. Sie wollte der Firma und sich selbst beweisen, dass sie es wert war.
Bisher hatte sie über Ryan Taylor nur gewusst, dass er den Wechsel im Management beaufsichtigen und Mackenzie Forrest in eine leuchtende Zukunft führen sollte. Jetzt wusste sie auch, wie er beinahe nackt aussah.
2. KAPITEL
Imogen verlagerte ihr Gewicht auf das gesunde Bein, um ihr verletztes Knie zu schonen. Blöd, wie ein kleiner Kratzer so wehtun konnte. Wenn sie sich nur bald hinsetzen durfte. Sie hoffte, dass sie nichts würde sagen müssen. Ihre Adern waren noch voll Adrenalin. Erst der Unfall, dann die Angst vor dem Zuspätkommen und schließlich ihr Zusammentreffen mit … Schon die Erinnerung ließ ihr das Blut zu Kopf steigen. Sie musste den fast nackten Mann angestarrt haben wie eine verhungerte alte Jungfer. Nun gut, sie kam sich vor wie eine verhungerte alte Jungfer, aber das brauchte ihr neuer Chef nicht zu wissen.
Sie bemerkte, dass er sie über die anderen Köpfe hinweg stirnrunzelnd ansah. Sie wandte den Blick ab und wünschte erneut, vom Erdboden verschluckt zu werden.
„Bitte nehmen Sie alle Platz“, hörte sie ihn wie aus weiter Ferne sagen. „Dies ist eine ganz informelle Zusammenkunft. Bevor ich morgen offiziell meinen Dienst beginne, möchte ich Sie kennenlernen und Ihnen Gelegenheit geben, alle Fragen loszuwerden, die Ihnen möglicherweise auf der Seele brennen. Danach lade ich Sie zu einem kleinen Imbiss ein.“
Na großartig!
Imogen wählte einen Stuhl in der hintersten Ecke des Raumes. Sie versuchte, Shonas besorgtem Blick auszuweichen, doch ihre Abteilungsleiterin folgte ihr und setzte sich neben sie. Imogen kam gewöhnlich nicht zu spät. Sie war nie schlecht gelaunt. Doch heute war sie zu spät gekommen, wirkte gereizt und erschien völlig neu eingekleidet.
„Was ist passiert? Du bist doch schon vor einer Ewigkeit gegangen?“, flüsterte Shona, während sich die Unruhe im Raum langsam legte.
In der Tat hatte Imogen ihren Arbeitsplatz frühzeitig verlassen, um sich schnell noch ein Sandwich zu holen. Ihr Unfall auf der Victoria Street hatte ihren Plan zunichtegemacht. „Ich bin gestürzt.“
„Ist alles in Ordnung mit dir? Vor einer Minute warst du knallrot, und jetzt bist du bleich wie der Tod.“
Imogen
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