Julia Extra Band 372
zu vermischen.
Bei Mackenzie Forrest wollte sie nicht als Frau wahrgenommen werden, sondern als tüchtige Mitarbeiterin. Aber das bevorstehende Treffen war nur die erste Begegnung der Verwaltungsabteilung mit dem neuen Manager. Er würde ihr ohnehin kaum Beachtung schenken, sondern bestimmt eine großartige Rede über die glorreiche Zukunft der Firma halten. Das war ihr recht, solange sie nur in Ruhe ihre Arbeit erledigen konnte.
Die neue Hose saß vielleicht ein bisschen zu eng, aber sie bedeckte wenigstens die hässliche Schürfwunde am Knie. Sie hatte einen provisorischen Verband aus einem Papiertaschentuch und etwas Klebeband gezaubert, um das Blut aufzusaugen. Außerdem konnte die Hose nun nicht bei jedem Schritt auf der Wunde scheuern.
Imogen warf die verschmutzten Kleider in die Einkaufstüte. Ein letzter tiefer Atemzug und noch einmal bis zehn gezählt. Vielleicht half das, diese blauen Augen zu vergessen, in denen sie abwechselnd Besorgnis, Belustigung und Begehrlichkeit gelesen hatte.
Oh ja, Begehrlichkeit war eindeutig mit dabei gewesen!
Vor Schmerz humpelnd, verließ sie das Hotelzimmer. Auf dem Flur warf sie einen Blick auf die Uhr. Sie war jetzt genau drei Minuten zu spät. Die Tür von Zimmer neunundsechzig war geschlossen. Sie wandte sich um und eilte zum Fahrstuhl. Als sie um die Ecke bog, stöhnte sie auf. O nein! Heute blieb ihr aber auch nichts erspart!
Der Handtuchmann stand am Lift und sah ihr entgegen. Diesmal war er allerdings vollständig bekleidet. Der dunkelgraue Anzug musste maßgeschneidert sein, so wie er sich an seinen Körper schmiegte. Die blaue Krawatte auf dem blütenweißen Hemd betonte das tiefe Blau seiner Augen. Jedes Modemagazin würde ihn als Modell engagieren können. Er hatte die Hand bereits an der Tür zum Treppenhaus, aber jetzt hielt er inne und verfolgte, wie sie ihm entgegengehumpelt kam. Dann trat er von der Tür zurück und drückte stattdessen auf den Fahrstuhlknopf. Die ganze Zeit hielt er den Blick auf sie gerichtet.
Imogen näherte sich ihm verlegen. Keine Panik! befahl sie sich. Sollte er ruhig den Fahrstuhl nehmen. Sie würde auf den nächsten warten. Sie wollte ihrem neuen Chef beim ersten Treffen nicht atemlos und mit hochrotem Kopf begegnen. Zu spät kam sie ohnehin. Da kam es auf eine weitere Minute auch nicht mehr an. Schneller laufen konnte sie auch nicht. Das Knie tat zu weh.
Der Fahrstuhl öffnete sich. Der Fremde stieg ein. Doch statt abzufahren, hielt er die Fahrstuhltür geöffnet, bis Imogen ihn erreicht hatte. Einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke, und wieder spürte sie die Hitze in sich aufwallen.
„Welches Stockwerk?“
„Das zweite bitte.“ Imogen blickte angestrengt zu Boden. Sie traute sich nicht, noch einmal in diese verführerischen Augen zu sehen.
Die Fahrstuhltür schloss sich. Imogen konzentrierte sich angestrengt auf den Spalt zwischen den beiden Türhälften.
„Die Farbe steht Ihnen gut.“
Sie zuckte zusammen. Dann blickte sie an sich herunter. Sie mochte den Farbton selbst, aber was war besonderes daran? „Oh …“ Sie atmete tief durch und versuchte, mit normaler Stimme zu sprechen. „Danke …“
„Das Grün ist hübsch“, unterbrach er sie, „aber ich dachte mehr an das Rot.“
Erschrocken sah sie ihn an. In seinen blauen Augen blitzte es. Und dann verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln, das ihr die Knie weich werden ließ. Sie spürte, wie ihr das Blut in das Gesicht schoss. Sie würde ihrem neuen Chef wohl doch mit rotem Kopf entgegentreten müssen. Aber dieser Kerl war unwiderstehlich, und so lächelte sie zurück.
„Das ist mir wirklich peinlich.“ Das war der einzige Gedanke, den sie öffentlich aussprechen konnte.
„Na ja“, scherzte er, „ich hatte noch weniger an.“
„Stimmt.“ Ihre Anspannung wich, und ihr Lächeln wurde breiter. „Das stand Ihnen auch gut“, platzte es wie von selbst aus ihr heraus, während sie aus dem Fahrstuhl trat.
„Ich würde gern …“ Er blickte auf seine Uhr und machte eine abwehrende Geste. „aber ich muss leider …“
„Ich komme auch schon viel zu spät“, beendete Imogen lächelnd das Gespräch. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätte sie sich gern mit ihm unterhalten, vielleicht geflirtet, bestimmt ein wenig Spaß gehabt.
Spaß hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr zu Imogens Alltag gehört, aber allein der Gedanke daran reichte, um ein wenig Licht in ihren Tag zu bringen. Doch jetzt musste sie sich um ihr wirkliches Leben
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