JULIA FESTIVAL Band 84
Nachdem sie die Post sortiert und in die verschiedenen Eingangsablagen gelegt hatte, zog Meredith eine Schublade auf und holte ihr Adressbuch heraus. An diesem Tag konnte sie die Anwaltsfirma nicht mehr anrufen, aber sie würde es am nächsten Morgen als Erstes tun. Sie schrieb die Telefonnummer in das Notizbuch, das sie immer in der Handtasche hatte.
Allein schon weil sie beschlossen hatte, etwas zu unternehmen, fühlte sich Meredith ein bisschen besser, aber sie hörte trotzdem nicht auf, sich Sorgen zu machen. Sie schaltete den Fernsehapparat ein, bekam jedoch von den Abendnachrichten kein Wort mit. Das Glas Weißwein, das sie sich eingeschenkt hatte, war plötzlich leer, ohne dass sie sich erinnern konnte, etwas getrunken zu haben. Schließlich ging sie in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Nachdem sie mehrere Minuten lang hineingeschaut hatte, gab sie den Gedanken auf, sich ein anständiges Essen zu kochen, und entschied sich für Käse, Gewürzgurken und Cracker.
Meredith hatte keine rechtsgültigen Beweise, das war das Problem. Wenn Denise Graham aus irgendeinem Grund beschlossen hatte, den einzigen Kontakt mit ihr abzubrechen, konnte Meredith überhaupt nichts tun. Sie war verzweifelt gewesen, als sie ihr Baby hergegeben hatte, und aus Mitleid hatte Denise Graham versprochen, ihr einmal im Jahr zu schreiben und Fotos von Kimberly zu schicken. Es war eine Vertrauenssache gewesen. Wenn der Anwalt ihr sagte, es würden keine Päckchen mehr kommen, musste sich Meredith damit abfinden.
Das Gefühl, völlig machtlos dagegen zu sein, quälte sie, raubte ihr den Appetit und machte es ihr unmöglich, irgendetwas Sinnvolles zu tun. Als es klingelte, wollte sie zuerst nicht öffnen. Es war kurz nach acht. Sie erwartete niemanden und war nicht in der Stimmung für Besuch. Nur der Gedanke, dass vielleicht ein Nachbar Hilfe brauchte, veranlasste Meredith, zur Tür zu gehen.
Allein zu leben erforderte Vorsichtsmaßnahmen. Die Sicherheitskette ließ nur eine sehr schmale Öffnung zu. Und durch diesen Spalt schaute Meredith ungläubig den Mann an, der vor der Tür stand.
Niemals hatte sie damit gerechnet, ihn noch einmal wiederzusehen. Sein Anblick löste all die Empfindungen aus, die nur er jemals in ihr hervorgerufen hatte. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und Erregung durchflutete sie wie eine prickelnde Woge. So war es vor dreizehn Jahren gewesen. Erinnerungen überwältigten Meredith, und sie konnte ihn nur starr ansehen.
„Miss Palmer? Meredith Palmer?“
Seine volltönende Stimme weckte Gefühle, die so lange im Verborgenen gelegen hatten, dass sie Meredith fremd geworden waren …
Aber er erkannte sie nicht. Sonst hätte er sie Merry genannt. Den Namen hatte er ihr gegeben … Merry Christmas, Fröhliche Weihnachten. Das schönste Weihnachten, das er jemals erlebt hatte.
„Ja.“ Noch immer tat es weh, daran zu denken, was seine Schwester gesagt hatte, als sich Meredith damals mit dem Vater ihres Babys in Verbindung hatte setzen wollen. Denise Graham hatte behauptet, er habe einen Unfall gehabt und könne sich an die Sommerferien und an Meredith nicht erinnern. Da er bereits in die Vereinigten Staaten geflogen war – er hatte ein zweijähriges Stipendium an der Harvard University erhalten –, hatte Meredith keine Möglichkeit gehabt, nachzuprüfen, ob seine Schwester die Wahrheit gesagt hatte.
Jetzt hatte Meredith den Beweis. Nicht Merry. Miss Meredith Palmer mit Fragezeichen.
Aber auch wenn er sich nicht erinnerte, müsste er sich doch unwillkürlich zu ihr hingezogen fühlen. Es war damals nicht einseitig gewesen.
„Mein Name ist Anthony Hamilton …“ Er zögerte, als würde es ihm schwerfallen, sich auf den Zweck seines Besuchs zu konzentrieren.
Da er nicht zu ihr gekommen war, weil er sich an sie erinnerte, musste es mit Kimberly zu tun haben. Hatte er erfahren, dass sie seine Tochter war? War ihr etwas zugestoßen? Überbrachte er schlechte Nachrichten von seiner Schwester?
„Ich bin Denise Grahams Bruder.“
„Ja“, sagte Meredith wieder. Sie war sich qualvoll bewusst, welche Folgen diese Verwandtschaft für sie gehabt hatte. Aber jetzt verdrängte Angst den Gedanken daran. „Sie sind bestimmt wegen Kimberly hier. Das Päckchen … Ich hätte es schon vor vierzehn Tagen erhalten sollen.“
„Das habe ich gehört“, erwiderte er mitfühlend. „Darf ich hereinkommen? Ich habe viel zu erklären.“
Meredith nickte nur. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Seit dreizehn Jahren
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