JULIA FESTIVAL Band 89
Nicole vor ihm stand, schloss er kurz die Augen und seufzte. Dann strich er ihr sanft über die Wange. „Ich muss gehen“, flüsterte er und berührte ihre Ohrringe.
Fast hätte Nicole den Kopf gedreht und einen Kuss in seine Hand gedrückt. „Warum denn?“
„Weil ich mit ständiger Gesellschaft nicht zurechtkomme.“ Er trat einen Schritt zurück und ließ die Hand sinken.
„Manchmal muss man die Menschen an sich heranlassen, Ty.“
„Da sprichst du sicher aus eigener Erfahrung, stimmt’s?“
Nicole achtete nicht auf den spöttischen Tonfall. „Ich habe meine Familie, und Suzanne und Taylor.“ Und dich, hätte sie fast hinzugefügt. Es beunruhigte sie, wie sehr sie wünschte, es wäre so.
„Leb wohl, Nicole.“
„Warte. Willst du ihr nicht wenigstens antworten?“
„Interessiert dich das wirklich?“
„Das weißt du genau.“
„Im Grunde weiß ich überhaupt nichts über dich.“
„Wie kannst du das nach der letzten Nacht sagen, Ty?“
„Wir sind sehr unterschiedlich, das hast du selbst gesagt.“
„Vielleicht sind diese Unterschiede oberflächlicher, als ich dachte.“
„Und das bedeutet, Nicole?“
„Dass wir beide Einzelgänger sind und beide für unsere Arbeit leben. Das sind doch schon zwei wesentliche Gemeinsamkeiten.“
„Kannst du dich nicht an deine eigenen Worte erinnern? Du sagtest, du seist Ärztin und hättest jedem geholfen.“
Nicole blickte Ty direkt in die Augen. „Du bedeutest mir sehr viel.“
„Das tut mir leid für dich. Mach’s gut, Nicole.“
Dann war Ty weg, und sie blickte auf die geschlossene Tür. Der Abschied hatte sehr endgültig geklungen. Ist mir auch recht, dachte Nicole. Alles bestens.
Das erklärte allerdings nicht, wieso ihr Tränen über die Wangen liefen.
9. KAPITEL
Nachdem Ty zu Hause angelangt war, schlief er zwei Tage durch. Dann lag er zwei weitere Tage untätig herum, was ihm überhaupt nicht ähnlich sah.
Es war ihm alles viel zu still. War das der Grund, wieso er ständig an Nicole dachte? Um sich abzulenken, machte er das Radio an und fing an zu arbeiten.
Trotzdem bekam er Nicole nicht aus dem Kopf. Wie sollte er das auch anstellen? Sie war klug, sexy und schön, und er begehrte sie. Andererseits hatte er schon viele Frauen begehrt. Was war diesmal so anders? Weshalb war er so deprimiert? Er konnte es sich nicht erklären. Zwischen Nicole und ihm gab es keine Beziehung, weil sie keine wollte.
Ich auch nicht, dachte Ty. Er wollte gern mit ihr schlafen, sie in die Arme ziehen, eins mit ihr werden und dieses unglaubliche Verlangen nach ihr stillen. Aber das alles war nicht geschehen, und jetzt war es vorbei. Er war noch nie der Typ gewesen, der sich ausmalte, was alles hätte sein können.
Ty begriff nicht, dass manche Menschen so viel zögerten. Das Leben war schließlich nicht dazu da, dass man sich hinsetzte und alles akzeptierte, was kam. Er hatte sein Schicksal selbst in die Hand genommen, und deswegen führte er jetzt ein schönes Leben. Wenn es ihm hin und wieder zu still wurde, dann lenkte er sich ab. Es war ihm nie schwergefallen, eine Frau zu finden, die etwas Spaß haben wollte. Vielleicht brauchte er auch jetzt genau das: heißen Sex.
Schade, dass er sich kaum bewegen konnte.
Fünf Tage, nachdem er durch die Zimmerdecke gestürzt war, fuhr Ty an der Jugendherberge vorbei. Aus purer Neugier, sagte er sich. Er stieg aus und fragte die junge Frau am Eingang nach Margaret Mary. Sein Herz schlug wie wild, als er wartend dastand, während sie ihre Listen durchsah. Die Rippen schmerzten ihn immer noch. Schließlich teilte die Frau ihm mit, dass Margaret Mary gerade nicht da sei.
Auch gut, dachte Ty. Ich wollte sie ohnehin nicht kennenlernen.
Er fuhr an einigen Baustellen vorbei, die er als Architekt betreute, und holte trotz schmerzender Rippen die Arbeit nach, die die letzten Tage liegen geblieben war. Erschöpft kehrte er nach Hause zurück. Vielleicht konnte er jetzt wenigstens schlafen.
Doch um Mitternacht lag er immer noch wach im Bett. Hätte ich doch wieder ein Schmerzmittel nehmen sollen?, fragte sich Ty. Aber er mochte nicht ständig unter Medikamenten stehen. Also biss er die Zähne zusammen und sagte sich, dass es ihm morgen wahrscheinlich schon besser gehe. Er schaltete das Licht an, um zu arbeiten, aber die Pläne verschwammen ihm vor den Augen, und ihm wurde schwindlig.
Seufzend griff er nach dem Tablettenfläschchen, da klopfte es an der Tür. Weil ihm kein einziger Grund einfiel, weswegen jemand um
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