JULIA FESTIVAL Band 89
keinerlei persönliche Beziehung. Auf eine solche Beziehung würde Ty sich auch niemals einlassen. Im Grunde bedeuteten sie sich nichts.
Na gut, Ty bedeutete mir etwas, gestand Nicole sich ein.
Um seinem Anblick wenigstens für kurze Zeit zu entkommen, nahm sie das Blatt, das er ihr hinhielt, und ging zur Tür.
„Du brauchst einen Zollstock!“, rief er ihr nach. „Und sei vorsichtig, wenn du …“
„Ein paar Messungen bekomme ich schon hin.“ Taylor hatte bestimmt ein Maßband, und von Suzanne bekam sie sicher Eiscreme. Denn jetzt brauchte sie etwas Süßes, um sich von ihrer eigentlichen Sehnsucht abzulenken.
Der Sehnsucht nach Ty.
Nicole ließ sich Zeit mit den Messungen. Einerseits wollte sie sich wieder völlig unter Kontrolle bekommen, andererseits hoffte sie, dass Ty einschlief, wenn sie ihn lange genug allein ließ.
Und was sprach dagegen, wenn sie noch kurz zu Suzanne ging und sich mit Keksen und Eiscreme vollstopfte? Schlimmstenfalls wurde ihr die Jeans zu eng.
Als Nicole schließlich in ihr Apartment zurückkehrte, war das Wohnzimmer leer. Sie fand Ty in ihrem Bett. Er hatte den Laptop an die Telefonleitung angeschlossen, um seine E-Mails abzufragen. Offenbar war er darüber eingeschlafen.
„Ty?“
Er rührte sich nicht. Er lag flach auf dem Rücken und hatte den Kopf zur Seite gedreht. Die Brust hob und senkte sich regelmäßig. Die Prellungen an den Rippen waren gut zu sehen, weil Ty sich nicht zugedeckt hatte. Der Knöchel musste gekühlt werden, und wahrscheinlich brauchte er auch wieder ein Schmerzmittel.
Nicole trat näher. Sie wollte ihm nur den Puls fühlen, aber dann fiel ihr Blick auf eine geöffnete E-Mail.
Lieber Ty, ich brauche kein Geld, aber wir beide sind eine Familie. Kannst Du wirklich behaupten, dass Du nicht in teressiert seist? Stehst Du so sehr unter Zeitdruck, dass Du nicht einmal Deine einzige lebende Verwandte kennen lernen willst? Ich würde Dich so gern treffen und kennen lernen, denn Du bist meine Familie. Zurzeit wohne ich in der örtlichen Jugendherberge. Bitte zeig etwas Interesse.
Margaret Mary.
Gerührt blickte Nicole auf die Zeilen. Wenn Margaret Mary so empfand, was ging dann in Ty vor?
„Hast du genug gesehen?“
Erschrocken fuhr Nicole zusammen.
Ty versuchte verschlafen und gereizt, sich aufzusetzen.
„Nein.“ Sie streckte die Hand aus. „Lass bitte …“
Er klappte den Laptop zu. „Ja, ich lasse dich jetzt in Ruhe.
Und du lässt mich auch in Ruhe.“
Wortlos sah Nicole zu, wie Ty langsam aufstand.
„Was sollte das bedeuten?“, wollte sie wissen.
„Vergiss es.“ Er blickte sich um. „Wo sind meine Sachen?“
„Dort drüben.“ Sie deutete auf die sorgfältig gestapelte Wäsche auf ihrem Nachttisch. „Aber …“
„Ich muss einiges erledigen.“ Es bereitete Ty starke Schmerzen, die paar Schritte zu gehen, aber er schaffte es, sich zu beherrschen, auch wenn ihm der Schweiß auf die Stirn trat und er einen Moment lang schwankte.
„Ty, leg dich wieder hin.“
„Das ist sicher nicht als Einladung gemeint, das Bett mit dir zu teilen. Deshalb verzichte ich.“
„Ich begreif das nicht. Du wolltest doch lieber zu mir kommen, als im Krankenhaus zu bleiben. Was ist denn passiert?“
„Ich sagte doch gerade, ich habe einiges zu erledigen.“
„Willst du zum Beispiel zur Jugendherberge?“
Er sah sie scharf an.
„Tut mir leid.“ Verlegen verschränkte sie die Finger. „Ich habe mehr von der E-Mail gelesen, als ich wollte.“
Ty winkte ab, als Nicole ihm beim Anziehen helfen wollte, obwohl er sich hinsetzen musste, um seine Jeans hochzuziehen. Als er sich wieder hinstellte, atmete er angestrengt, und seine Brust glänzte schweißnass. Das Hemd anzuziehen fiel ihm auch schwer, und Nicole musste die Zähne aufeinanderbeißen, damit sie nicht doch zu ihm eilte, um ihm zu helfen.
Dann war er auf dem Weg zur Tür.
„Ty.“ Als er sie ungeduldig ansah, seufzte sie. „Du kannst nicht selbst Auto fahren. Dafür hast du zu viele Schmerzmittel im Blut.“
„Die letzten beiden Tabletten habe ich nicht genommen.“
„Du hast nicht …“ Also deshalb tat ihm alles weh. „Du bist wirklich ein Dummkopf.“
„Tatsächlich, Frau Doktor?“ Er klemmte sich den Laptop unter den Arm und war schon fast draußen, als er sich noch einmal umdrehte. „Danke.“
„Wofür? Dafür, dass ich dich vertrieben habe?“
„Nein, für deine Hilfe.“
„Okay.“
Während Nicole langsam auf ihn zuging, beobachtete Ty sie misstrauisch. Als
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