JULIA FESTIVAL Band 89
wenigstens ein Tablett und folge ihm“, sagte sie zu sich selbst und wandte sie sich wieder zur Anrichte um. Auf der Fahrt hierher waren einige der liebevoll dekorierten Speisen etwas ins Rutschen gekommen und mussten neu geordnet werden.
„Wie kommt das eigentlich? Alle Köche, die ich kenne, reden mit sich selbst.“
Suzanne brauchte sich gar nicht erst umzudrehen. Sie erkannte Angels Stimme auch so, denn sie hatte schon ein paar Mal mit ihr am Telefon gesprochen. Außerdem musste sie sich etwas sammeln, bevor sie sich dem nächsten anstrengenden Mitglied der Familie Alondo stellen konnte. „Wie viele Köche kennst du denn?“
„Na, dich zum Beispiel. Und meinen Bruder. Obwohl wir ihn immer aufziehen, ist Ryan in der Küche ziemlich geschickt. Wusstest du das?“
Nein, dachte sie. Aber es gab eine Menge, die sie über ihn nicht wusste, und das war auch besser so. Leider stellte sie sich trotzdem vor, wie Ryan nur mit einer Jeans bekleidet in der Küche stand, um ihnen beiden einen Mitternachts-Snack zuzubereiten. Dieses Bild vor Augen machte sie nervös.
„Nach dem Tod unserer Eltern war er derjenige, der für uns gekocht hat.“ Angel schob die Schälchen mit dem Dessert auf einem der Tabletts zurecht, während sie weiter erzählte. „Er hat uns auch bei den Hausaufgaben geholfen, Russ und Rafe zum Basketball gefahren und mich ertragen, als ich noch ein dummer, eitler und boshafter Teenager war.“
Angel lachte, als ihr anscheinend etwas Lustiges einfiel. „Anfangs wollten Rafe und Russ sich nicht ohne Mom und Dad an den Tisch setzen, aber Ryan hat die Geduld nicht verloren und dennoch jeden Abend für uns gekocht.“ Sie nahm sich aus einer Schüssel einen Keks, steckte ihn in den Mund und schloss kurz genießerisch die Augen. „Das schmeckt ja unglaublich! Bei Ryan gab es nur gesundes Essen. Salat, Gemüse und so. Damals habe ich ihn dafür gehasst.“
Suzanne stellte sich die drei jüngeren Geschwister vor, wie sie meuternd abends mit Ryan am Tisch saßen. Dabei hatte er nur das Ziel gehabt, die Familie zusammenzuhalten und zu versorgen. Dafür hatte er sogar auf seinen Wunsch, aufs College zu gehen, verzichtet.
So ein Mann war anders als alle, die sie bisher kennengelernt hatte. Ein solcher Mann würde niemals schnell aufgeben, wenn es einmal nicht so gut in der Beziehung lief. So ein Mann würde nicht lügen, und niemals würde so ein Mann sie mit Absicht verletzen.
Einen solchen Mann konnte sie doch gar nicht in seinem Charakter verderben, oder? Wovor hatte sie dann eigentlich Angst?
Ob sie sich die ganze Zeit völlig umsonst hinter ihrer Angst verschanzt hatte?
War sie womöglich ein Feigling? „Und jetzt?“, fragte Suzanne leise und wandte sich Angel zu. „Was empfindest du jetzt für ihn? Schließlich hat er für euch viele Opfer gebracht.“
„Ich liebe ihn mehr als sonst jemanden auf der Welt“, antwortete Angel und steckte sich noch einen Keks in den Mund. „Hm.“ Sie leckte sich die Lippen. „Und wehe, es verletzt ihn jemand.“
Nachdenklich lehnte Suzanne sich gegen die Anrichte und musterte Ryans Schwester. „Soll das so eine Art Drohung sein?“
Angel erwiderte unerschrocken ihren Blick. „Hast du denn vor, ihn zu verletzen?“
„Red keinen Unsinn.“ Suzanne lachte, aber es klang verunsichert. „Dazu habe ich überhaupt nicht die Möglichkeit.“
„Glaubst du das wirklich?“ Anscheinend war Angel von Suzannes Antwort enttäuscht, denn sie legte den dritten Keks, den sie bereits in der Hand gehabt hatte, wieder auf den Teller zurück.
Suzanne dachte daran, wie Ryan sie vorhin angesehen hatte. So eindringlich und sehnsüchtig.
Sehnsucht nach mir, dachte sie.
Dabei hatten sie beide nicht vorgehabt, dass es zwischen ihnen so weit kam. Das wusste Suzanne genauso sicher, wie sie wusste, dass das, was jetzt zwischen ihnen geschah, keine Frage der Vernunft mehr war. Hier ging es nur um ihre Herzen.
Als hätte er es gespürt, dass man über ihn sprach, kam Ryan in diesem Moment in die Küche zurück. Er blickte von einem zum anderen und hob dann die Augenbrauen. „Was gibt’s?“
„Nichts.“ Angel ging zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Wofür war der denn?“
„Nur so.“ Angel hob die Schultern. „Ohne jeden Grund“, sagte sie und warf über die Schulter Suzanne einen eindringlichen Blick zu, ehe sie die Küche verließ.
Suzanne drehte sich wieder zur Anrichte um und kümmerte sich angelegentlich um das nächste Tablett. „Sie ist ein
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