JULIA FESTIVAL Band 89
nicht, dass diese Ohrringe etwas mit ihrer Ehre zu tun hatten. „Nein, kein neues Piercing.“
Geduldig auf eine Antwort wartend, hob Taylor eine Augenbraue.
Hastig versuchte Nicole, eine höfliche Ausrede zu finden. „Wir sind im Krankenhaus unterbesetzt, und …“
„Lass gut sein, Super-Girl.“ Taylor hob abwehrend eine Hand, um sich weitere Entschuldigungen zu ersparen. „Kommen wir doch gleich zum Punkt. Von Hochzeiten und dem ganzen Drum und Dran bekommen wir beide Pickel, stimmt’s?“ Sie blickte Nicole wie eine strenge Mutter fest in die Augen. „Aber hier geht es um Suzanne.“
Suzanne war neben Taylor der einzige Mensch, der Nicole vom ersten Treffen an so akzeptierte hatte, wie sie war. Dabei wusste Nicole genau, dass sie oft schroff, verschlossen und abweisend wirkte.
Die drei Frauen hatten sich kennengelernt, kurz nachdem Taylor dieses Haus geerbt hatte. Leider besaß Taylor abgesehen davon keinen Cent, und so hatte sie erst Suzanne und kurze Zeit später Nicole als Mieterinnen aufgenommen. Im Grunde hatten sie alle wenig gemeinsam. Suzanne betrieb einen Party-Service und bewirtete sie ständig mit himmlischen Gerichten. Außerdem schien ihr Vorrat an Eiscreme niemals zu Ende zu gehen. Taylor hielt sich selbst und die anderen mit ihrem trockenen Humor bei guter Laune und bemutterte sie, was Nicole ihr aber nie verraten würde. Und Nicole … Sie hätte selbst nicht sagen können, was sie zu der Gemeinschaft beitrug. Es war ihr ein Rätsel, warum Taylor und Suzanne so viel an ihr lag.
Eines jedoch hatte sie von Anfang an verbunden: Sie hatten sich geschworen, Singles zu bleiben. Oft hatten sie darüber gesprochen, sich gegenseitig zugeprostet und dabei ihren Schwur erneuert. Allerdings hatte Suzanne den Schwur mittlerweile gebrochen und sich unsterblich verliebt und wollte nun heiraten.
Nicole seufzte. „Ich werde es irgendwie einrichten, hier zu sein.“
„Keine Bange, Heiraten ist ja nicht ansteckend.“
„Da mache ich mir auch keine Sorgen. Meine Arbeit ist mein Leben, und ich bin viel zu selbstsüchtig, um mich an einen Mann zu binden.“ „Genau. Wir sind glücklich mit unserem Leben als Single, und so soll es bleiben.“
„Auf jeden Fall.“
Aber ein bisschen nervös machte es sie schon, dass Suzanne, die ein ebenso überzeugter Single wie sie gewesen war, den Schwur gebrochen hatte und heiratete. So etwas durfte ihnen nicht passieren. Sie würden aufpassen und ihre Gefühlswelt unter Kontrolle halten müssen.
Genau, dachte Nicole. Bloß keine ernsthaften Gefühle entwickeln, dann sind wir beide vor Ärger sicher.
Vierundzwanzig Stunden lang hatte Nicole schwer gearbeitet, als sie sich nun im Morgengrauen die drei Treppen zu ihrer kleinen Dachwohnung hinaufschleppte.
Es war schon dunkel oder immer noch. Nicole war zu erschöpft, um sich darüber Gedanken zu machen. Die Arbeit war fast unmenschlich gewesen. Starker Nebel hatte einen Massenunfall auf dem Highway 5 in Richtung Süden verursacht. Zweiundvierzig Autos waren darin verwickelt gewesen, und sie hatte den ganzen Tag im OP verbracht. Ihr war kaum Zeit geblieben, um sich die Nase zu putzen. Auf Schnittverletzungen, gebrochene Beine und Rippenbrüche war dann noch eine Entbindung von Zwillingen per Kaiserschnitt gefolgt.
Man hatte sie gebeten, noch eine Schicht dranzuhängen, und nach einem kurzen Schlaf im Ärztezimmer, um wieder zu Kräften zu kommen, hatte Nicole noch die zweite Schicht gearbeitet. Während der knappen Ruhepause hatte sie geträumt, sie werde von Hochzeitskleidern und Torten verfolgt. Wie war sie bloß darauf gekommen?
Jetzt sehnte sie sich nur noch nach etwas zu essen, einer heißen Dusche und ihrem Bett. Die Reihenfolge war ihr ziemlich egal. Sie hatte sich Tacos gekauft, und bei dem Gedanken an die warmen Tacos in der Tüte, die sie sich gerade an die Brust drückte, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Das war zwar kein gesundes Frühstück, aber Hauptsache, es machte satt. Schon seit der zweiten Operation gestern sehnte sie sich nach etwas scharf Gewürztem.
Nach dem Essen hatte sie vor, in Tiefschlaf zu fallen. Jedenfalls bis zu ihrer nächsten Schicht. Heute Nachmittag war ein Belegschaftstreffen angesetzt, und anschließend würde sie für einen ausgefallenen Kollegen die Nachtschicht übernehmen. Schon jetzt standen vier Operationen fest auf dem Plan.
Hoffentlich habe ich auch scharfe Soße bestellt, dachte sie, denn an Fertigsoßen gab es in ihrer winzigen Küche nichts außer etwas
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