JULIA FESTIVAL Band 95
Ausgerechnet daran kann ich mich erinnern, seltsam, nicht?“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich würde mich lieber an eine große Liebe erinnern als daran, nie jemanden geliebt zu haben. Traurig, finden Sie nicht auch?“
„Wenn Sie mich fragen, klingt es eher vernünftig als traurig.“
„Vernünftig? Sie glauben also nicht an Liebe?“
„Ich glaube, sie wird weit überschätzt.“ Erneut musste er an Carlotta denken. Das hatte er in den letzten Tagen oft getan. Was immer er aus der tragischen Geschichte seiner Schwester an Lehren hatte ziehen wollen, Carlottas Ende hatte alles zunichtegemacht.
„Glauben Sie noch immer, dass ich lüge?“, fragte Arielle unerwartet.
Er sah sie an, die sanft geschwungene Wange, den vollen Mund, die blauen Flecken, die fast verschwunden waren. „Tun Sie das denn?“
„Sie fragen mich so einfach, als wären Sie bereit, mir zu glauben, wenn ich Nein sage.“ Sie seufzte. „Ich lüge nicht. Ich habe keinen Grund zu lügen.“
„Ich habe einen Grund, Ihnen nicht zu glauben.“
„Okay. Warum glauben Sie mir nicht?“
Er schaute aufs Meer hinaus.
„Es ist eine lange, hässliche Geschichte.“
„Ich höre zu, wenn Sie sie mir erzählen wollen.“
Ihm war klar, dass er damit eine Entscheidung getroffen hätte. Wenn er ihr die Wahrheit über Carlotta und sich erzählte, bedeutete das zugleich, dass er Arielle traute. Lieber Himmel, lass mich nicht wieder einen Fehler begehen, flehte er.
„Meine Eltern starben, als ich achtzehn war“, begann er und starrte nicht mehr auf das dunkle Wasser hinaus, sondern in seine Vergangenheit. „Ich weiß nur noch, dass es bei der Beerdigung regnete und es für August ungewöhnlich kalt war. Tracy ging bereits aufs College, und ich sollte einige Wochen später mein Studium beginnen. Die Wilkenson-Familie ist seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, als sie aus England herüberkam, in der Hotelbranche. In fast zwei Jahrhunderten wurden einige Vermögen errungen und verloren. Vor vierzehn Jahre steckten wir mal wieder in einer Krise.“
Er sprach die Worte aus, ohne nachzudenken, als hätte er die Geschichte schon tausendmal erzählt. Dabei hatte er sie noch keinem Menschen anvertraut. Geschäftspartner hörten sie nur stückweise, hinter vorgehaltener Hand, aus der Gerüchteküche. Über bestimmte Dinge sprach er, wenn seine Arbeit es erforderte, aber das kam selten vor.
„Die Dinge haben sich geändert“, warf Arielle ein. „Jetzt haben Sie offenbar großen Erfolg.“
Er zuckte mit den Schultern. Seine Fähigkeit, das Ruder des Konzerns herumzureißen, stand hier nicht zur Debatte. „Ich habe das College nach drei Jahren abgeschlossen, damit ich in die Firma einsteigen konnte“, fuhr er fort. „Für eine Weile wurde überlegt, ob Tracy sie übernimmt, aber sie hatte kein Interesse, und als sie Donald kennenlernte, hatte sie ganz andere Dinge im Kopf. Ich brauchte fünf Jahre, um die Firma aus den roten Zahlen zu holen.“
„Lassen Sie mich raten“, sagte sie sanft. „Sie haben rund um die Uhr gearbeitet.“
„Genau. Ich hatte für nichts anderes Zeit. Und dann, als ich endlich wieder zum Atemholen kam, merkte ich, dass ich Aufsehen erregt hatte und jeder ein Stück vom Wilkenson-Genie wollte.“ Er verzog das Gesicht. „Es war die Hölle.“
„Selbst die Frauen?“
Ihre Frage schockierte ihn, bis ihm einfiel, dass sie gar nicht wissen konnte, was geschehen war. „Sagen wir, auch das hatte seine schlechten Seiten. Rein emotional war ich noch immer ein Kind. Auf dem College habe ich mir nicht viel Freizeit gelassen, und danach habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Ich war nicht darauf vorbereitet, umschwärmt zu werden. Irgendwann habe ich mich einfach von allem zurückgezogen, um mich nicht selbst zu verlieren.“
„Sind Sie deshalb hierher auf diese Insel gezogen?“
Er nickte.
„Sie sind von allem abgeschnitten. Beunruhigt Sie das nicht?“
„Ich sehe es eher als langen Urlaub.“ Ihm blieb keine andere Wahl. Eine Rückkehr kam nicht infrage. Aber das mit dem Urlaub war gelogen. Er wollte sich nichts vormachen. Sein Haus auf St. Alicia war ein sehr schönes, sehr sicheres Gefängnis.
„Sie sind hier wie eingesperrt“, entgegnete sie und erstaunte ihn mit ihrer Fähigkeit, zwischen den Zeilen lesen zu können. „Sind Sie hier, weil Sie es wollen oder weil Ihnen nichts anderes übrig bleibt?“
„Beides“, gab er zu.
Sie schob sich eine Locke hinters Ohr. „Was ist mit Anna Jane? Sie können
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