JULIA FESTIVAL Band 95
sie nicht für immer hierbehalten.“
„Ich weiß. Ich denke daran, sie zurück in die Staaten zu schicken. Vielleicht auf ein gutes Internat.“
„Davor hat sie jetzt schon Angst“, erwiderte Arielle. „Kennen Sie das Kinderbuch ‚Die kleine Prinzessin‘?“
Er schüttelte den Kopf.
„Anna Jane hat es mehrmals gelesen. Es handelt von einem jungen Mädchen, das nach England auf ein Internat geschickt wird, weil ihr Vater in Indien ein Vermögen machen will. Sie hat wunderschöne Kleider und wird wie eine Prinzessin behandelt. Doch dann stirbt ihr Vater, und sie bleibt ohne jeden Penny zurück, bis ihr Pflegevater sie findet. Genauer gesagt, sie findet ihn, aber das ist nicht wichtig. Anna Jane befürchtet, dass Sie sterben könnten, während sie auf dem Internat ist, und dass sie dann arm ist und auf dem Dachboden leben muss.“
„Das wird nicht geschehen.“
„Sie ist erst neun, also erwarten Sie nicht, dass Sie es ihr sofort ausreden können. Wir reden hier nicht von Logik. Sie hat Angst, weil sie bisher jeden Menschen, der ihr etwas bedeutete, verloren hat. Sie fürchtet sich nicht vor der Armut, sondern davor, wieder verlassen zu werden. Es wird eine Weile dauern, bis sie sich wieder jemandem anvertrauen kann.“
„Sie braucht eine Ausbildung“, gab er zu bedenken. „Was soll ich tun? Auf der Nachbarinsel gibt es eine Schule, aber dann müsste sie in der Woche dort wohnen. Oder ich könnte Privatlehrer engagieren.“
„Ich finde, Sie sollten mit ihr darüber sprechen“, meinte Arielle. „Sie braucht den Umgang mit Gleichaltrigen, aber sie darf nicht den Eindruck bekommen, dass Sie sie wegschicken.“
„Sie kennen sich mit Kindern aus.“
„Erstaunlich, nicht? Ich habe darüber nachgedacht, finde aber keine Erklärung. Vielleicht bin ich Kinderpsychologin oder Lehrerin. Es ist schrecklich, nichts über sich zu wissen. Ich versuche, eine Liste der Dinge aufzustellen, die mir eingefallen sind.“
„Was haben Sie denn bisher?“
Sie zog die Augenbrauen hoch. „So stark fühle ich mich noch nicht, Jarrett.“
„Sie haben Angst, ich könnte Sie kränken?“
„Sagen wir, Sie sind nicht gerade mein größter Fan.“
Da hatte sie recht. „Ich werde nichts Unfreundliches sagen.“
„Wie großzügig.“ Sie richtete sich auf. „Na gut.“ Sie zog ein Stück Papier aus der Tasche und hielt es ins Licht. „Ich habe etwas mit Kindern zu tun, mit jungen Kindern, nicht mit Teenagern. Irgendwie habe ich ein Gespür für sie.“ Sie lächelte. „Also muss ich intelligent sein.“
Er lachte. „Das könnte stimmen.“
Sie schaute wieder auf die Liste. „Ich lese gern. Als ich mich in Ihrer Bibliothek umgesehen habe, erinnerte ich mich daran, viele der Bücher gelesen zu haben. Ich kann mich an die Handlung erinnern. Besonders gefallen mir Krimis und Liebesromane, die in Ihrer Bibliothek leider selten sind.“
„Tatsächlich? Erzählen Sie weiter.“
„Das war es auch schon. Ich habe Sinn für Humor.“ Sie faltete den Zettel zusammen. „Das bin ich. Ein paar Zeilen auf einem Stück Papier, mehr nicht. Eigentlich sollte ich mehr vorzeigen können.“
Ihre Stimmung war so wechselhaft wie die Gezeiten. Bis eben war sie noch offen und zugänglich gewesen, jetzt wich sie wieder zurück und wurde verschlossen. Sie senkte den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass kein einziger Mensch nach mir sucht. Ich fühle mich so leer und überflüssig. Es muss doch jemanden geben. Irgendwo.“
Sie fröstelte und wandte sich von ihm ab. Er hob die Hand, um sie zu berühren, tat es jedoch nicht, sondern ließ sie auf die Mauer sinken. Er war nicht die richtige Person, sie zu trösten … und welchen Trost sollte er ihr auch bieten? „Wir werden Ihre Familie finden“, machte er ihr schließlich Mut, obwohl er wusste, dass Worte nicht genug waren.
„Und wenn nicht? Wenn es sie gar nicht gibt?“, rief sie mit versagender Stimme. „Entschuldigung“, flüsterte sie und stand auf. „Ich muss jetzt allein sein.“
Sie ging zum Strand. Jarrett folgte ihr. „Arielle, warten Sie.“
Sie schüttelte den Kopf und ging weiter. Mit drei langen Schritten war er bei ihr. „Arielle“, sagte er, während er sie am Arm festhielt und sie zu sich umdrehte.
Tränen rannen ihr über die Wangen. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, zog er sie einfach an sich.
„Warum sind Sie so nett zu mir?“, fragte sie und presste ihr Gesicht an seine Schulter. „Sie mögen mich ja nicht einmal.“
Ihre Tränen
Weitere Kostenlose Bücher