JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
auf dem Hocker am Fenster kniete, und zerzauste ihm liebevoll das dunkle Haar.
„Ich darf aber so lange aufbleiben, bis er da ist? Du hast es versprochen, Selina“, drängelte Robbie, um ihren Einwänden zuvorzukommen.
„Ja, ich weiß. Aber nur, weil ich dachte, er wäre um diese Zeit schon hier. Warum ziehst du nicht schon deinen Pyjama an?“
„Na schön!“, gab er widerwillig nach. „Aber wenn er da ist, rufst du mich?“
„Ja, das mache ich. Los, ab mit dir!“
Während Robbie wie ein kleiner Wirbelwind aus dem Zimmer fegte, machte Selina ein bitteres Gesicht. Ein Freund, hatte sie Robbie erzählt, ein Freund kommt heute. Dieses ungewöhnliche Ereignis rief natürlich höchste Aufregung hervor. Nicht viele Leute besuchten sie, erst recht nicht ihre Freunde. Die wohnten alle in London, und es war nicht ganz einfach für sie, in diesen abgelegenen Ort zu fahren, hier draußen im Moor von Kent. Im Sommer, hatten sie versprochen, im Sommer werden wir dich besuchen, Selina.
Sie erschrak, als sie ein Auto herannahen hörte, atmete jedoch erleichtert auf, nachdem es vorbeigefahren war. Selina hoffte, er würde nicht kommen. Jedenfalls nicht heute. Heute waren ihre Nerven aus irgendeinem lächerlichen Grund zum Zerreißen gespannt. Lieber morgen, wenn sie ruhiger war und sich wieder unter Kontrolle hatte …
Sie hörte das dumpfe Schlagen einer Wagentür und fühlte sich elend. Aber sie hatte ihn doch einmal geliebt. Sich gefreut, wenn er kam. Bis ihre Eigensinnigkeit und seine starre Haltung sie eines Tages auseinandergebracht hatten, für immer, davon war Selina überzeugt gewesen. Warum also wollte er sie jetzt sehen? Hatte er es sich anders überlegt? Oder hoffte er, dass sie, sich selbst überlassen, schließlich doch seine Ansichten teilen würde? Ja, das musste die Erklärung sein. In diesem Fall hätte sie einem Treffen lieber nicht zustimmen sollen. Denn mit dem Wiedersehen und der Erinnerung daran, was sie sich einmal bedeutet hatten, würde auch das schmerzliche Gefühl wiederkehren, etwas verloren zu haben. Aber wenn ihm klar geworden war, dass er ohne sie nicht leben konnte …
Hastig verdrängte Selina die Gedanken, ärgerlich über sich selbst, da sie sich Fragen stellte, die unmöglich vor dem Gespräch mit ihm zu beantworten waren.
In diesem Moment klopfte jemand an die Eingangstür.
Selina atmete tief durch und ging hinaus in die Diele. Sie machte das Licht an, öffnete die Tür und blieb entgeistert stehen, unfähig zu begreifen, was sie sah: einen fremden Mann, Mitte dreißig, mit sonnengebräunter Haut, ausgeprägten Gesichtszügen und eigenartig hellen Augen. Er wirkte tatkräftig und arrogant. Selina hatte ihn noch nie gesehen.
„Wo ist Paul?“, fragte sie verwirrt.
„Wer?“, erkundigte er sich verständnislos, betrat die Diele und ließ seine schwere Ledertasche fallen.
„Paul“, wiederholte Selina. „Paul Mason.“ Gleich darauf, nachdem sie sich wieder gefasst hatte, fragte sie wütend: „Was wollen Sie hier? Wieso dringen Sie einfach hier ein?“
„Oh, ich tue es eben, Lady, ich tue es“, entgegnete er langsam und lächelte spöttisch.
„Verschwinden Sie“, forderte Selina ihn bestimmt auf.
„Nein.“
„Ich bin nicht allein im Haus“, drohte sie. „Ich brauche nur zu schreien …“
„Dann schreien Sie doch“, erwiderte er gleichgültig und zog seine Jacke aus.
„Ich habe keine Lust zu schreien, und Ihre Jacke können Sie gleich wieder anziehen! Sie werden nämlich nicht hierbleiben!“
Er ignorierte ihren Protest und hängte seinen Anorak an einen Kleiderhaken. Abwartend blieb er vor Selina stehen.
Auch sie wartete, die Lippen zusammengepresst, ihre Augen funkelten vor Wut. „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“
„Dasselbe könnte ich Sie fragen“, erwiderte er freundlich, „und zwar mit gutem Recht.“
„Was soll denn das heißen?“
„Das bedeutet, Lady, dass ich ganz gern wüsste, wer Sie sind.“
„Selina Anne Martin“, antwortete Selina eisig. „Und jetzt verschwinden Sie endlich!“
„Kenne ich Sie?“
„Natürlich nicht!“
„Dann hat es auch nicht viel Sinn, mir Ihren Namen zu nennen, oder?“
Den Blick auf den ihr völlig fremden, arroganten Mann gerichtet, der sich so mir nichts dir nichts Einlass in ihr Haus verschafft hatte und der sie spöttisch ansah, verlor Selina die Geduld. Sie packte seine Jacke und schleuderte sie ihm entgegen. „Machen Sie, dass Sie fortkommen! Nehmen Sie Ihre Tasche, und verlassen
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