Julia Gold Band 0045
Samira, sich in Sicherheit zu bringen, und das machte Leah Mut. Die Luftwaffenpiloten würden es nicht wagen, bei der Verfolgung in die Hoheitsgebiete der Nachbarländer einzudringen, um dort das Flugzeug abzuschießen. Dem König lag bestimmt nichts daran, einen internationalen Zwischenfall heraufzubeschwören, der unweigerlich zur Folge haben würde, dass die Medien in großer Aufmachung über das Verschwinden der Prinzessin berichteten.
Leah war viel zu stolz, um sich anmerken zu lassen, wie ermüdend es war, vor dem König zu stehen und auf die Nachricht zu warten, was mit Glen und dem Flugzeug geschehen war. Sie dachte gar nicht daran, den Kopf zu senken, denn sie hatte sich nichts vorzuwerfen und brauchte sich auch nicht für ihren Bruder zu schämen.
Als schließlich der älteste Sohn des Königs, Prinz Youssef, in seiner Pilotenuniform hereinkam und sich mit seinem Vater beratschlagte, fand Leah es zunehmend schwieriger, sich zusammenzunehmen.
Hoffentlich hat er gute Nachrichten, dachte sie verzweifelt. Glen hatte Prinz Youssef zum Piloten ausgebildet, und die beiden waren die besten Freunde geworden. Der Prinz war bestimmt nicht so abgebrüht, Glen und seine Schwester einfach abzuschießen. Wahrscheinlich verlangte der König das auch gar nicht von seinem Sohn.
Leah verstand nicht, was der Prinz mit seinem Vater besprach. Auf einmal sank der König jedoch in sich zusammen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Sogleich erhob sich wieder leises Gemurmel im Saal. Dann trat Youssef einige Schritte zurück, drehte sich um und schaute Leah so schmerzerfüllt an, dass sie leise aufschrie.
„Nein, Youssef, nein …“
„Sie werden nicht mehr zurückkommen, Leah.“
Mit zitternden Knien wollte sie auf ihn zugehen. Doch sie strauchelte, und sogleich fing Youssef sie auf und stützte sie.
Grenzenlose Trostlosigkeit erfasste sie. Man hat meinen geliebten großen Bruder abgeschossen, dachte sie immer wieder.
„Es ist geschehen“, erklärte Youssef freudlos und resigniert. „Alles, was uns verbunden hat, existiert nicht mehr.“
Er ließ Leah los und ging weg. Sie hatte den Eindruck, seinem Vater nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Sie fühlte sich wie betäubt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Nachdem sie Glen verloren hatte, war ihr sowieso alles andere gleichgültig. Irgendwie gelang es ihr, aufrecht stehen zu bleiben. Sie hatte das Gefühl, in einem Vakuum zu schweben, und bedauerte, Glen zum Abschied nicht umarmt und geküsst zu haben. Aber es war zu spät, sie konnte ihm nicht mehr sagen, wie viel er ihr bedeutete.
Als König Rashid seinen Schock überwunden hatte und sich wieder aufrichtete, straffte Leah unwillkürlich die Schultern und hob das Kinn. Sie war unschuldig und hatte den Verrat nicht begangen, den man ihr unterstellte. Ihr Leben bedeutete ihr jedoch nichts mehr, und unter keinen Umständen wollte sie im Nachhinein ihren Bruder beschämen, indem sie sich weinerlich und feige verhielt.
Langsam und würdevoll erhob der König sich und ließ den Blick durch den Saal schweifen.
„Hiermit gebe ich bekannt, dass meine Tochter, Prinzessin Samira, tot ist“, verkündete er.
Dann wandte er sich an den Diener, der immer noch Glens Gürtel mit dem Geld in der Hand hielt. Der König ergriff den Gürtel und warf ihn Leah vor die Füße. „Nehmen Sie das Geld, an dem Blut klebt, und verlassen Sie uns, Leah Marlow. Ich verstoße Sie aus Qatamah. Innerhalb einer Stunde wird man Sie aus dem Palast bringen und Sie außer Landes fliegen. Sie werden sich von niemandem verabschieden und nie mehr unser Land betreten. Packen Sie jetzt Ihre persönlichen Sachen, die Sie mitnehmen wollen.“
Auf einmal erinnerte Leah sich an die Drohungen, die der Scheich von Zubani zuvor ausgestoßen hatte. Ironie des Schicksals, dachte sie freudlos. Denn ebenso wie Glen und Samira würde nun auch sie, Leah, für immer dem Einflussbereich Sharif al Kaders entzogen sein.
Plötzlich überkam sie der unwiderstehliche Wunsch, dem Scheich ihre Verachtung zu zeigen. Sie schaute ihn an, und er hielt ihrem Blick herausfordernd stand. Nein, dieser Mann wird niemals eine Niederlage hinnehmen, dachte sie und erbebte insgeheim, als sie sich seiner stahlharten Willenskraft bewusst wurde. Schließlich wandte sie den Blick ab und wusste instinktiv, dass er sich dafür rächen würde, dass man ihn soeben öffentlich gedemütigt und lächerlich gemacht hatte.
Leah ließ den Gürtel mit dem Geld liegen, wo
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