Julia Gold Band 0045
fühlte sich völlig hilflos und hätte ihn am liebsten zurückgehalten. Und als er dann die Tür öffnete, rief Leah leise hinter ihm her: „Glen!“ Es klang wie eine Bitte, sie nicht alleinzulassen.
Ihr großer Bruder, der ihr die Eltern ersetzt hatte und ihr Ein und Alles war, drehte sich widerstrebend um und schaute sie so seltsam an, als wäre er in Gedanken schon ganz weit weg.
„Ich muss wirklich gehen, Leah“, erklärte er ruhig.
Leah brach es fast das Herz, denn in seiner Stimme lag etwas Endgültiges. „Du hast gesagt, ich soll dir viel Glück wünschen.“
Er lächelte leicht. „Inschallah“ , verabschiedete er sich noch einmal sanft.
Und mit diesem Wort, das etwa wenn Gott will bedeutete, verließ er sie. Wollte er ihr damit zu verstehen geben, dass er einem ungewissen Schicksal entgegenflog?
Plötzlich überkam Leah das schreckliche Gefühl, Glen nie mehr wiederzusehen. Was soll ich nur tun, wenn er nicht mehr zurückkommt? Wie kann ich ohne ihn weiterleben? Diese und andere Fragen gingen ihr unentwegt durch den Kopf.
Auf einmal tauchte Sharif al Kaders Bild vor ihr auf. Es war wie eine Bedrohung, der sie nicht entkommen konnte. Völlig deprimiert überlegte sie, wie sie sich ohne Glen gegen diesen Mann wehren sollte.
3. KAPITEL
Leah war viel zu aufgeregt, um sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Sie holte die Handarbeit aus dem Garten, hatte jedoch keine Lust, sich damit weiter zu beschäftigen. Aber da Glen sie gebeten hatte, in ihrer Suite zu bleiben, wollte sie vorsichtshalber seine Warnung nicht in den Wind schlagen.
Sie versuchte, sich ihren Lieblingsvideofilm anzuschauen. Ihre Gedanken schweiften jedoch immer wieder ab. Auch das Essen, das sie sich wie jeden Abend zubereitete, ließ sie schließlich stehen, denn sie hatte keinen Appetit.
Sie steigerte sich so sehr in ihre Unruhe, dass sie erleichtert war, als jemand an die Tür klopfte. Sie öffnete – und war nun vollends verwirrt. Denn vor ihr stand Tayi mit ausdrucksloser Miene und schaute Leah mit den dunklen Augen an.
„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte Leah, weil die andere beharrlich schwieg.
Doch ohne ein Wort zu sagen, drehte die junge Frau sich um und entfernte sich mit langsamen graziösen Schritten, während Leah noch überlegte, was sie gewollt haben mochte.
„Tayi, soll ich mit Ihnen kommen?“, rief sie hinter ihr her. Doch auch dieses Mal erhielt sie keine Antwort. Leah konnte sich keinen Reim darauf machen, warum die Frau nicht reagierte.
Auf einmal glaubte Leah jedoch zu wissen, was los war. Wütend knallte sie die Tür zu und lief im Salon auf und ab. Sharif al Kader hatte Tayi geschickt, um herauszufinden, ob Leah allein in ihrer Suite war oder Besuch hatte.
Er war einfach abscheulich. Unter keinen Umständen würde Leah einwilligen, in seinem Palast zu wohnen, weder Samira noch den Kindern zuliebe. Deshalb musste Glen unbedingt zurückkommen und die Sache für sie klären.
Aber wenn er nun nicht zurückkam?
Verängstigt und unsicher stand Leah mitten im Raum, als es wieder an der Tür klopfte, aber dieses Mal viel energischer. Vielleicht hat man Tayi noch einmal geschickt, und ich habe sie irgendwie missverstanden, überlegte Leah hoffnungsvoll. Aber diese Hoffnung wurde sogleich wieder zerstört, denn als sie öffnete, sah sie sich zwei Männern von der Palastwache gegenüber.
„Der König will Sie sehen, Miss Marlow. Wir sollen Sie in den Thronsaal bringen“, erklärte der eine der beiden.
Leah war alarmiert. Sie war daran gewöhnt, dem König im Kinderflügel oder in den Suiten der Frauen zu begegnen, aber in den Thronsaal hatte man sie noch nie gerufen. Nur ein einziges Mal war sie dort gewesen, und zwar vor acht Jahren, als Glen sie dem König vorgestellt hatte. In diesem Saal empfing König Rashid vormittags die Männer von Qatamah, die ihm ihre Klagen und Probleme vortrugen, und nahm Bittschriften entgegen. Frauen hatten normalerweise keinen Zutritt.
Dennoch musste sie jetzt der Vorladung des Königs folgen. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment, ich ziehe mir schnell etwas über“, sagte Leah.
Als sie sich umdrehen wollte, hielt einer der beiden Männer sie am Arm fest. „Sie müssen sofort mitkommen.“
Leah erkannte, dass die beiden keinen Widerspruch duldeten. Sie hatten offenbar Anweisung, sie gewaltsam vorzuführen, falls das nötig sein sollte. Deshalb entschloss sie sich, dem Befehl mit so viel Würde wie möglich nachzukommen. Doch mit jedem Schritt, den sie
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