Italien zum Verlieben (German Edition)
1
"Also Anna, aus der Sache mit den Sudetendeutschen
hast du wirklich eine sehr schöne Geschichte gemacht."
Harald Kober saß hinter seinem großen, unaufgeräumten
Schreibtisch und hielt die heutige Ausgabe der Neudorfer Zeitung in
seiner Hand. Aufgeschlagen war der Titelbericht auf der lokalen
ersten Seite. Auf dem Schreibtisch, der in der Mitte des geräumigen
Büros stand, sowie auf den halbhohen Schränken an den
Wänden ringsum waren Papierstapel, Ordner, halb beschriebene
Blöcke und zerlegte Zeitungen wild verstreut. Anna stand
zwischen ihm und der halboffenen Tür und freute sich über
die angenehme Überraschung. "Es wurde heute morgen sogar
schon einen Brief vom Vorstand abgegeben, der platzt beinahe vor
Lobeshymnen." Kober nahm einen Umschlag von einem Papierstapel
auf der rechten Seite des Tisches und streckte ihn ihr entgegen.
"Danke, das freut mich!" Lächelnd nahm
Anna ihn an. "Es hat mir aber auch wirklich Spaß gemacht;
alle waren sehr nett und haben mir einen guten Einblick gegeben."
"Na dann, weiter so!" Der Redaktionsleiter
zwinkerte ihr zu.
Strahlend ging Anna aus seinem Büro. So ein großes
Lob gab es selten und bei all der vielen Arbeit und dem damit
verbundenen Stress, den die gesamte Redaktion momentan hatte, gab es
ihr neue Energie und war ein großer Ansporn für ihre noch
anfallenden Aufgaben.
Karin, die immer schon eine Stunde vor ihr zur Arbeit
erschien, saß bereits vor dem Computer in ihrem gemeinsamen
Büro und empfing Anna mit einem fröhlichen "Hab's
schon gehört! Gratuliere!"
"Dankeschön! Bin ja mal gespannt, was die so
geschrieben haben." Sie ließ sich auf ihren Bürostuhl
fallen und öffnete den Umschlag.
"Lies mal vor", verlangte Karin neugierig.
"Na gut... Für
den Bericht Ihrer jungen Mitarbeiterin Anna Seiler bedanken wir uns
vielmals! Es ist äußerst selten, dass so realitätsgetreu
über die Hintergründe und die Lage der Vertriebenen
berichtet wird, wie Ihre Mitarbeiterin dies in ihrem Artikel
geschafft hat. Sie hat das ganze Thema wirklich auf den Punkt
gebracht. Es hat uns auch überaus gefreut, dass eine junge Dame
ihres Alters bereits ein so großes Interesse an unserer
Geschichte zeigt und sich so in unsere Situation versetzen kann... Na, das ist ja mal nett, da
werd' ich ja direkt rot", lachte Anna und steckte den Brief in
ihre Handtasche, die auf einem kleinen Büroschränkchen
hinter ihr stand, "den heb' ich mir natürlich auf!"
Nachdem sie ihren Computer hochgefahren hatte, sah sie
als erstes die eingegangenen E-Mails durch. Heute schien es nichts
Großartiges zu geben, ein paar Veranstaltungshinweise waren zu
schreiben, eine Kartenverlosung... oh, da beschwerte sich noch
jemand, dass ihr Bericht über die Jahreshauptversammlung des
Sportvereins ganze drei Zeilen kürzer ausgefallen war als der
Bericht über den Verein aus dem Nachbarort von vergangener
Woche. Anna musste schmunzeln. Das war natürlich inakzeptabel,
das verstand sie, was hatte sie sich nur dabei gedacht. Sie amüsierte
sich über die verschrobene, liebenswert grantige Art der
Allgäuer Landbevölkerung. Es waren Menschen voller Stolz
und schwäbischem Geiz und doch geradeheraus, offen und herzlich.
Anna war es schon immer lieber, die Meinung der Leute ins Gesicht
gesagt zu bekommen, als sich ständig zu fragen, was ihr
Gegenüber wohl hinter seiner höflichen Fassade alles
Schlimmes über sie denken mochte.
Anna war im Allgäu aufgewachsen, in einem kleinen
Dorf auf einem Hügel direkt neben einem Bauernhof und liebte die
Natur und die eigenwillige Art der Menschen. Dass sie in der
Lokalredaktion der Neudorfer Zeitung gelandet war, war eher Zufall
gewesen. Sie hatte als freie Mitarbeiterin angefangen, sich gut
gemacht und war vor drei Jahren angestellt worden. Das hatte sie
damals selbst nicht recht für möglich gehalten, denn
normalerweise war so etwas ohne Volontariat gar nicht möglich,
was sie natürlich doppelt freute und stolz machte, vor allem,
weil sie damals erst Einundzwanzig und somit der jüngste, fest
angestellte Mitarbeiter der Redaktion war. Das Schreiben bereitete
ihr sehr viel Spaß, sie kam viel hinaus unter die Leute und
musste daher nicht, wie viele andere, den ganzen Tag in einem
düsteren Büro verbringen.
Die Redaktion der Neudorfer Zeitung quetschte sich in
die obersten beiden Stockwerke eines großen, verwinkelten
Altstadtgebäudes, das schon seit langem um eine gründliche
Renovierung zu betteln schien. Im Erdgeschoss und Keller war die
Druckerei
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