Julia Quinn
oder?«
Man musste ihr zugutehalten, dass sie nicht beleidigt war. »Ich
muss nur auf dem Weg bleiben, bis ich zu dem kleinen Teich gelange. Dann geht
es den Hügel hinauf, und dann bin ich auch schon fast da.«
Er nickte. »Du musst mich holen lassen. Aber
nicht von jemandem aus Bricstan. Schicke nach Fensmore. Lass Jimmy rufen.«
»Jimmy?«
»Mein Stallmeister. Sag ihm, dass ich auf dem Pfad nach Bricstan
bin, etwa drei Meilen von zu Hause entfernt. Er wird wissen, was zu tun
ist.«
»Kommst du denn zurecht so allein?«
»Solange es nicht regnet«, scherzte er. Sie sahen zum Himmel
empor. Über ihnen dräute eine dicke, graue Wolkenschicht. »Verdammt«,
sagte er.
»Ich beeile mich«, versprach sie.
»Lieber nicht.« Am Ende trat sie in ein echtes Maulwurfsloch,
und was wäre dann? »Dass du auch noch stolperst und hinfällst, können wir nicht
gebrauchen.«
Sie wandte sich zum Gehen und drehte sich dann noch einmal um.
»Du lässt es mich wissen, wenn du gut nach Hause gekommen bist?«
»Natürlich.« Er konnte sich nicht
erinnern, wann er zum letzten Mal jemandem eine Nachricht über sein Wohlergehen
geschickt hatte. Der Gedanke war verwirrend. Aber nett fühlte es sich auch an.
Er sah ihr nach, horchte, bis ihre Schritte
verklungen waren. Wie lang es wohl dauern würde, bis Hilfe eintraf? Sie musste
zurück nach Bricstan, das in gut einer Meile Entfernung lag – sofern sie sich
nicht verlief. Dann musste sie einen Brief schreiben und jemanden damit nach
Fensmore losschicken. Dann musste Jimmy zwei Pferde satteln und sich auf den
Weg durch den Wald machen, auf einem Pfad, der sich viel besser zum Spazierengehen
eignete.
Eine Stunde? Nein, eineinhalb. Wahrscheinlich
noch länger.
Er ließ sich zu Boden gleiten, sodass er sich an den Baumstamm
lehnen konnte. Himmel, war er müde. Sein Knöchel tat zu weh, als dass er hätte
schlafen können, aber er machte die Augen trotzdem zu.
In diesem Moment spürte er den ersten
Regentropfen.
6. Kapitel
Als Honoria auf Bricstan eintraf, war sie bis auf die Knochen
durchnässt. Der Regen hatte kaum fünf Minuten, nachdem sie Marcus am
umgestürzten Baum zurückgelassen hatte, begonnen. Zuerst war er nur leicht
gewesen – hier und da ein paar dicke Tropfen. Ärgerlich, aber nicht schlimm.
Doch als sie am Ende des Wegs angekommen war, schüttete es wie aus
Kübeln. Sie war über den Rasen geeilt, so schnell sie konnte, aber nach ein
paar Sekunden war sie trotzdem völlig durchnässt.
An Marcus, der noch mindestens eine Stunde im Wald festsaß, mochte
sie gar nicht denken. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie die Stelle
aussah, an der sie ihn zurückgelassen hatte. Boten ihm die Bäume dort Schutz
vor dem Regen? Es war immer noch Frühling, die Blätter bildeten noch kein
dichtes Dach.
Zuerst versuchte sie Bricstan durch eine Seitentür zu betreten,
doch die war verschlossen, und so musste sie das Gebäude umrunden, um zum
Vordereingang zu gelangen. Die Tür ging auf, bevor sie anklopfen konnte, und
sie stürzte nach drinnen.
»Honoria!«, rief Sarah aus und lief auf sie zu, um sie zu
stützen. »Ich habe dich durch das Fenster gesehen. Wo warst du nur? Ich habe
mir solche Sorgen gemacht. Wir wollten gerade einen Suchtrupp losschicken. Du
hast gesagt, du wolltest Blumen pflücken, aber dann bist du nicht mehr
wiedergekommen.«
Honoria versuchte Sarah zu unterbrechen, doch ihr Atem reichte nur
für ein schwaches: »Stopp!« Sie sah nach unten; zu ihren Füßen hatten sich
Pfützen gebildet. Ein Rinnsal hatte sich aus dem Kreis gelöst und lief langsam
auf die Wand zu.
»Wir müssen dich trockenlegen«, sagte
Sarah. Sie ergriff Honorias Hände. »Du bist ja eiskalt.«
»Sarah, hör auf.« Honoria entzog sich Sarahs Griff und packte
ihre Cousine an der Schulter. »Bitte. Ich brauche Papier. Ich muss einen Brief
schreiben.«
Sarah sah
sie an, als wäre sie übergeschnappt.
»Sofort. Ich muss ...«
»Lady Honoria!« Mrs Royle kam in die Eingangshalle geeilt.
»Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht! Wo um alles in der Welt haben Sie
denn gesteckt?«
»Ich habe mich nur nach Blumen umgesehen«, log Honoria,
»aber, bitte, ich muss jetzt einen Brief schreiben.«
Mrs Royle legte die Hand an ihre Stirn. »Sie fühlen sich nicht
fiebrig an.«
»Sie zittert«, sagte Sarah. Sie sah Mrs Royle an. »Wahrscheinlich
hat sie sich verlaufen. Sie ist da ganz schrecklich.«
»Ja, ja«, erklärte Honoria, bereit, jeder Beleidigung zuzustimmen,
solange sie nur das
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