Julia Quinn
»Du hast meinen Segen.«
Sie kniff kritisch die Augen zusammen. »Wozu brauche ich deinen
Segen?«
Lieber Himmel, sie war wirklich schwierig. »Du brauchst ihn nicht.
Aber wäre es denn so schlimm, ihn trotzdem zu bekommen?«
»Nein«,
sagte sie langsam, »aber ...«
Er wartete
ab. Und fragte schließlich: »Aber was?«
»Ich weiß nicht.« Sie betonte jedes einzelne Wort und ließ
ihn dabei nicht aus den Augen.
Er unterdrückte ein Lachen. »Warum misstraust du meinen Motiven so
sehr?«
»Ach, ich weiß nicht«, wiederholte sie in sarkastischem Ton.
»Vielleicht weil du die ganze letzte Saison damit zugebracht hast, mich finster
anzustarren.«
»Stimmt
doch gar nicht.«
Sie
schnaubte. »Oh doch.«
»Ich mag den einen oder anderen deiner Verehrer finster angestarrt
haben« – verdammt, das hatte er nicht sagen wollen –, »aber doch nicht
dich.«
»Dann hast du mir also tatsächlich nachspioniert«, erklärte
sie triumphierend.
»Natürlich nicht«, log er. »Aber du warst einfach nicht zu
übersehen.«
Sie
schnappte nach Luft. »Was willst du mir damit sagen?«
Verdammt, nun war er dran. »Gar nichts. Du warst in London. Ich
war in London.« Als sie darauf nicht reagierte, fügte er hinzu: »Ich habe auch die anderen Damen gesehen.« Und dann
rutschte ihm heraus: »Du bist einfach nur die Einzige, an die ich mich
erinnere.« Verdammt, das war nun das Schlimmste, was er sagen konnte.
Sie erstarrte und musterte ihn mit ihrem eindringlichen, eulenhaften
Blick. Er hasste es, wenn sie das tat. Es bedeutete, dass sie zu heftig nachdachte oder
zu viel sah, und er fühlte sich entblößt. Selbst als Kind hatte sie tiefer in ihn hineinblicken
können als der Rest der Familie. Eigentlich hatte es nicht zu ihr gepasst; meistens war sie die muntere, fröhliche Honoria, aber wenn sie ihn
auf diese Art ansah, mit ihren erstaunlichen lavendelblauen Augen, dann begriff
er, was ihre Familie niemals bemerkt hatte: dass sie die Menschen verstand.
Sie
verstand ihn.
Er schüttelte den Kopf, versuchte die Erinnerungen zu vertreiben.
Er wollte nicht über ihre Familie nachdenken, darüber, wie es
sich angefühlt hatte, mit ihnen am Tisch zu sitzen, Teil ihrer Welt zu sein. Und er wollte auch nicht über Honoria
nachdenken. Er wollte ihr nicht ins Gesicht blicken und feststellen, dass ihre Augen genau dieselbe Farbe
hatten wie die Traubenhyazinthen, die gerade überall aus der Erde sprossen. Sie
kamen jedes Jahr um diese Zeit, und er dachte jedes Mal – nur einen Moment, dann schob er den Gedanken beiseite –, dass es ihre Blumen waren. Nicht wenn sie in voller Blüte standen, dann waren sie zu dunkel. Honorias
Augen erinnerten an die frischen Blätter, die sich noch nicht tiefblau gefärbt
hatten.
Die Brust wurde ihm eng. Nein, er wollte wirklich nicht darüber
nachdenken, dass er die genaue Stelle am Blütenblatt einer Blume ausmachen
konnte, die zu ihren Augen passte.
Wenn sie doch nur eine Bemerkung machen würde, aber natürlich tat
sie das nicht. Nicht jetzt, wo er ihr Geplapper endlich einmal willkommen
geheißen hätte.
Doch schließlich sagte sie leise: »Ich könnte dich ihnen vorstellen.«
»Was?«
Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
»Ich könnte dich einigen jungen Damen vorstellen. Denjenigen, an
die du dich, wie du sagst, nicht erinnerst.«
Ach, um Himmels willen, dachte sie etwa, dass dort das Problem
lag? Er war jeder Dame in London vorgestellt worden, er kannte nur keine
von ihnen.
»Ich würde das sehr gern
machen«, sagte sie freundlich. Freundlich? Oder mitleidig?
»Unnötig«,
gab er barsch zurück.
»Nein,
natürlich wurdest du ihnen vorgestellt ...«
»Ich will
nicht ...«
»Du
findest uns albern ...«
»Sie reden
über Nichtigkeiten ...«
»Sogar ich
würde mich langweilen ...«
»Die Wahrheit ist«, verkündete er, um dieses Gespräch endlich
abzuschließen, »ich hasse London.«
Seine Stimme war viel lauter, als er beabsichtigt hatte, und er
kam sich wie ein Narr vor. Ein Narr, der vermutlich auch noch sein zweitbestes
Paar Stiefel ruinieren musste. »So geht das nicht«, sagte er.
Sie wirkte verunsichert.
»Auf die Art schaffen wir es nie nach Fensmore.« Er sah, dass
sie mit sich rang, um ein »Hab ich es dir doch gesagt!« zu unterdrücken,
und entschied, ihnen beiden dieses unwürdige Schauspiel zu ersparen, indem er
sagte: »Du musst zurück nach Bricstan. Es liegt näher, und du kennst den Weg.« Dann fiel
ihm ein, wen er vor sich hatte. »Du kennst den Weg doch,
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