Julia Saison Band 01
geht es doch erst richtig los.“
Als der Kleinbus sie zum Pier zurückbrachte, waren die Schatten bereits länger geworden.
Christopher gab Carter die Hand. „Vielen Dank, dass Sie uns mitgenommen haben.“
„Was für ein wunderschöner Tag“, sagte Molly mit strahlendem Lächeln. „Ich danke Ihnen so sehr, Carter.“
„Es war mir ein Vergnügen.“ Carter blickte auf die Uhr. „Das Schiff legt erst in ein paar Stunden ab. Hätten Sie Lust, den Ort ein wenig zu erkunden?“
Er hielt Molly den Arm hin, und nach kurzem Zögern hängte sie sich bei ihm ein.
Christopher sah ihnen eine Weile hinterher, dann wandte er sich an Lilian. „Und was machen wir? Ich würde gern mit der Seilbahn zum Mount Roberts hochfahren. Kommst du mit?“
Etwas ängstlich blickte Lilian auf die kleine rote Kabine, die sich den Berg hochschlängelte.
„Es ist lange nicht so schlimm wie der Hubschrauber.“
Sie hob das Kinn. „Der Hubschrauber hat mir gar nichts ausgemacht.“
„Umso besser.“ Christopher hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. „Also dann, wollen wir es wagen?“
Sie biss sich auf die Lippen und entschied, dass das immer noch besser war, als mit ihm in ihrer Kabine zu landen. „Einverstanden.“
„Oh, wie hübsch“, rief Molly, während sie sich fasziniert in der Schmuckboutique umblickte.
„Verlieren solche Boutiquen nicht an Reiz, wenn man zu Hause selbst einen Laden hat?“, fragte Carter.
Molly lachte und wandte sich zum Ausgang. „Überhaupt nicht. Unser Laden ist ja ganz anders. Viel einfacher, mit mehr Kunstgewerbeartikeln.“
„Dann passt er zu Ihnen.“
„Wollen Sie damit sagen, dass ich etwas schlicht bin?“
„Nein, aber ich habe selten einen Menschen gesehen, der so mit sich im Reinen ist wie Sie.“
Sie lächelte geschmeichelt. „Das ist vielleicht das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe.“
„Dann kennen Sie anscheinend nicht die richtigen Leute. Mir fallen noch eine ganze Menge anderer Komplimente ein.“
„Ach, Sie Schmeichler.“ Leicht verlegen ging sie weiter und blickte interessiert in eins der anderen Schaufenster.
„Von hier oben sieht alles so anders aus“, sagte Lilian leise, während sie nebeneinander am Geländer der Aussichtsplattform lehnten. Die Kreuzfahrtschiffe wirkten so winzig wie Spielzeug.
„Ja“, erwiderte Christopher. „Es kommt immer auf die Perspektive an.“
Die umliegenden Hänge waren mit immergrünen Pflanzen bewachsen, aber selbst jetzt im August gab es noch vereiste Stellen.
„Ich frage mich, wie es wohl wäre, hier zu leben“, sagte Lilian.
„Ziemlich kalt, nehme ich an.“
Sie knuffte ihn in den Arm. „Im Ernst. Morgens mit dieser Aussicht aufzuwachen.“
Er streckte sich. „Ich glaube, daran gewöhnt man sich genauso wie an alles andere. Die Leute hier sehen das vermutlich gar nicht mehr. Aber bestimmt gibt es Tage, wo sie raus in die Natur gehen und feststellen, dass sie in einem Paradies leben. Das können nicht viele Leute von sich behaupten.“
Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Das hört sich ziemlich resigniert an.“
„Ich bin einfach realistisch. Und ich finde, glückliche Momente erlebt man nur, wenn man innehält und die Dinge bewusst wahrnimmt.“
„Warum bist du eigentlich von Washington weggegangen?“
Er zuckte die Achseln. „Irgendwann hat es seinen Reiz verloren. Plötzlich hatte ich nicht mehr dieses prickelnde Gefühl, direkt im Zentrum zu sitzen, dort, wo die wichtigen Dinge entschieden werden. Auf einmal kam mir alles schal vor, wie eine leere Hülse, und ich habe meine Arbeit nur noch mechanisch gemacht, weil ich dafür bezahlt wurde.“
Sie blickte ihn prüfend an. „Und wann kam der Wendepunkt?“
„Eines Tages bin ich nach Vermont gefahren, um Tante Molly und Jacob zu besuchen. Ich erinnere mich noch gut an den magischen Moment, als ich morgens bei Sonnenaufgang spazieren ging. Da wusste ich plötzlich, dass ich nicht mehr in Washington leben wollte. Sechs Wochen später habe ich die Farm gekauft.“
„Hast du jetzt das Gefühl, am richtigen Platz zu sein?“
„Wenn ich Zeit habe, alles bewusst wahrzunehmen“, sagte er mit einem humorvollen Glitzern in den Augen.
Inzwischen hatte sich die Aussichtsplattform geleert, und sie waren die einzigen Besucher. Es tat gut, einmal alleine zu sein und Platz um sich zu haben, nachdem sie auf dem Schiff mit so vielen Leuten zusammen waren und es eher beengt zuging.
Lilian blickte auf den schmalen Häuserstreifen von Juneau.
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