Julia Saison Band 01
„Es muss komisch sein, so eingezwängt zu leben.“
„Wie meinst du das?“
„Hast du es nicht gelesen? Es gibt überhaupt keine Straßen außerhalb der Stadt. Man kann nur per Flugzeug oder Schiff hierherkommen. Die Leute leben im Paradies, aber es gibt kein Entrinnen.“
„Ja, das wird vielleicht irgendwann langweilig.“
„So wie für Adam und Eva. Ich würde lieber an einem weniger paradiesischen Ort leben.“ Sie überquerte die Plattform zur anderen Seite hin. „Alles, was perfekt ist, ist langweilig, findest du nicht auch?“
„Nicht unbedingt.“ Er lächelte, und seine Zähne schimmerten. „Ich würde eine Straße bauen, dann wäre es schon weniger langweilig.“
Sobald sein Leben ihm nicht mehr passte, hatte er es verändert. Es war nicht direkt eine Suche nach dem Paradies, aber zumindest nach neuen Möglichkeiten.
Sie bückte sich und hob einen Tannenzweig auf. „Was die Leute wohl machen, wenn sie unbedingt mal raus wollen?“ Sie drehte den Zweig zwischen den Fingern. „Wenn ich zum Beispiel nachts nicht schlafen kann, stehe ich auf, setze mich ins Auto und fahre durch die Gegend, in die Wüste oder in die Berge.“
Er stellte sich hinter sie. „Falls du jemals nach Vermont kommst, musst du mich unbedingt besuchen.“
„Ja, das mache ich ganz bestimmt.“
„Du fährst also viel nachts durch die Gegend?“
„Manchmal bin ich nachts unruhig.“ Sie drehte sich um und stand jetzt dicht vor ihm. „Ich weiß auch nicht … es ist, als ob mir irgendwas im Leben fehlt.“ Sie zuckte die Achseln. „Wenn ich dann herumfahre, fühle ich mich besser. Klingt ein bisschen verrückt, oder?“ Sie sah ihn an. „Passiert dir das auch manchmal, dass du etwas willst, aber nicht weißt, was?“
„Ich will ständig irgendwas“, murmelte er. „Aber ich weiß immer ganz genau, was ich will.“ Er nahm ihre Hand in seine.
Lilian schluckte, dann holte sie zitternd Luft und sah ihn an. Und plötzlich legte sie ihm die Arme um den Hals und zog ihn zu sich heran.
Diesmal war sie die treibende Kraft und fühlte sich stark, nicht schwach wie gestern Abend. Sie presste ihren Mund auf seinen und fuhr mit den Fingern durch sein Haar. So lief sie weniger Gefahr, seiner Faszination zu erliegen, und er war ein Mann wie alle anderen. Das dachte sie zumindest.
Allerdings nur solange, bis er ihren Kuss erwiderte. Sofort durchlief sie ein heißer Strom der Erregung. Wie machte er das bloß, sie so vollkommen zu überwältigen, dass sie nur noch hilflos in seinen Armen lag? Dabei hatte sie doch eben die Initiative ergriffen.
Er schob seine Hände unter ihren Mantel und streichelte sie, bis sie wohlig stöhnte. Trotz des vielen Stoffs zwischen ihnen spürte sie seine Hände so intensiv, als würde er ihre nackte Haut berühren. Immer begieriger küssten sie sich, und als ihre Zungen sich trafen, wurde ihr beinahe schwindlig vor Erregung. Obwohl sie auf festem Boden stand, an das stützende Geländer gelehnt, kam es ihr vor, als würde sie in den Abgrund stürzen.
Unter ihnen lag die Welt ausgebreitet, und sie beide standen ganz alleine auf diesem Fleck, als wären sie außerhalb von Raum und Zeit.
Fast schmerzhaft durchzuckte Christopher die Erregung. Er stöhnte auf und presste seinen Mund auf die zarte Haut in Lilians Halsbeuge. Tief sog er ihren Duft und ihre Wärme in sich ein. Seit ihrer ersten Begegnung vor zwei Tagen spürte er unablässig Verlangen nach dieser Frau. Er konnte nicht von ihr lassen.
Aus der Entfernung kamen Geräusche, und widerstrebend ließ er Lilian los. Sie würden schon einen geeigneten Ort und Moment finden. Bald.
Über ihnen klickte die Seilbahn ein. „Letzte Fahrt für heute!“, rief eine Stimme.
„Wir müssen zurück zum Schiff“, sagte Lilian leise.
Christopher nickte. „Ja, sonst bleiben wir noch im Paradies stecken.“
4. KAPITEL
Lilian zündete die kleine Kerze an, die in einem Blaubeermuffin steckte. Dann nahm sie den Teller und ging damit auf die Terrasse, wo Carter im Liegestuhl saß und die kühle Morgenluft genoss.
Sie räusperte sich. „Happy birthday to you …“
Überrascht drehte Carter sich um und fing herzlich an zu lachen, als er den kleinen Geburtstagskuchen sah.
„… happy birthday, lieber Da-ad, happy birthday to you“, sang Lilian und stellte den Kuchen auf den Tisch. Dann ging sie zurück in die Kabine und holte das Tablett, auf dem ein opulentes Champagnerfrühstück angerichtet war. Sie schenkte den Champagner ein und reichte Carter
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