Julia Saison Band 01

hältst du eigentlich?“, fragte Lilian entrüstet.
    „Natürlich zu Onkel Christopher mit den sanften Händen“, antwortete Christopher für Sophia und fügte flüsternd hinzu: „Die hast du doch auch schon zu spüren bekommen.“ Schnell küsste er sie auf die Lippen, bevor sie mit Sophia auf das Promenadendeck traten.
    Sofort machte die Kleine sich los und gesellte sich zu den anderen Kindern, die vorne an der Reling standen. Die übrigen Passagiere standen dicht gedrängt in Dreierreihen.
    Lilian warf Christopher einen fragenden Blick zu, und er deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Heck. „Lass uns nach hinten gehen, da sind nicht so viele Leute.“
    Tatsächlich war es am Heck fast leer. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, so dicht vor dem riesigen Gletscher zu stehen und zu beobachten, wie bizarre Formen abbrachen und auf den Wellen tanzten.
    Aus den Gletscherspalten schimmerte wieder das magische Blau, das Lilian auf dem Flug mit dem Helikopter so fasziniert hatte.
    „Wenn mehr Menschen eine solche Naturschönheit sehen könnten, gäbe es sicher weniger Krieg und Brutalität auf der Welt.“
    „Die meisten begnügen sich doch damit, per Videospiel auf Eisberge zu schießen.“
    „Zyniker.“
    „Nein, Realist.“
    „Stell dir vor, der Kapitän und die Crew sehen das jede Woche.“
    „Die gucken bestimmt längst nicht mehr hin.“
    „Zyniker.“
    Seine Mundwinkel kräuselten sich. „Nein, Realist.“
    „Manche Dinge kann man immer wieder ansehen.“
    „Stimmt.“
    Sie merkte, dass er sie ansah, und wurde rot. „Du guckst ja gar nicht auf den Gletscher.“
    „Schließlich habe ich dich gestern den ganzen Tag nicht gesehen.“
    In ihrem Bauch fing es an zu kribbeln.
    „Wollen wir heute Abend zusammen essen?“ Er stand so dicht neben ihr, dass ihre Arme sich berührten.
    „Ich kann leider nicht. Carter hat heute Geburtstag.“
    „Und danach?“ Er nahm eine ihrer Haarsträhnen zwischen Daumen und Zeigefinger, dann fuhr er mit den Fingerspitzen über ihre Wange und ihren Hals.
    Sie blickte sich um. „Wir sind nicht allein.“
    „Die gucken doch alle nur auf den Gletscher“, sagte er und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. „Weißt du, dass dein Mund mich verrückt macht? Küss mich.“
    „Das geht doch nicht.“
    „Und ob das geht.“ Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie um die Ecke. Dort nahm er sie in die Arme und presste leidenschaftlich seine Lippen auf ihre. Um sie herum waren die kalten Gletscher, aber das Blut strömte ihr siedendheiß durch die Adern.
    Das ist völlig verrückt, dachte Lilian. Jeden Moment konnte jemand vorbeikommen. Doch weder sie noch Christopher konnten ihre Leidenschaft zügeln. Als ihre Lippen sich zitternd voneinander lösten, war ihr Verlangen nur umso heftiger geworden. Sie hätten jetzt schnell nach unten in ihre Kabine gehen können, aber das wäre sicher aufgefallen.
    Christopher merkte, dass es ihm gar nicht nur darum ging, sein brennendes Verlangen zu stillen. Er wollte mehr von Lilian. Am liebsten hätte er die ganze Zeit mit ihr zusammen verbracht und alles aus den paar Tagen herausgeholt, die ihnen noch blieben.
    „Das Schiff nimmt wieder Fahrt auf“, sagte Lilian. „Wir fahren jetzt den nächsten Gletscher an.“
    „Was interessiert mich der Gletscher?“, murmelte Christopher an ihrer Wange. „Ich will nur dich.“
    „Heute ist Carters Geburtstag, und ich muss jetzt wieder zu ihm.“
    Christopher nickte. „Können wir uns wenigstens heute Abend kurz sehen?“
    „Vielleicht vor dem Essen. Ich nehme an, Carter möchte auch ein wenig mit deiner Tante zusammen sein.“
    „Falls er das vorhat, muss er die ganze Familie mit in Kauf nehmen. Wir wollen nämlich alle gemeinsam was unternehmen.“
    „Dann wird es ja mit uns sowieso nichts.“
    „Warum denn nicht? Du kommst einfach mit.“
    „Was habt ihr denn vor?“
    Er lächelte breit. „Das verrate ich nicht. Aber es wird dir gefallen.“
    „Bingo?“, fragte Lilian und starrte auf die elektronische Zahlentafel.
    „Erzähl mir nicht, dass du das noch nie gespielt hast.“
    „Im Kindergarten vielleicht. Mein Interesse an solchen Spielen hält sich in Grenzen.“
    Christopher lächelte. „Na komm, bring ein bisschen Aufregung in dein Leben.“
    „Ich wüsste nicht, was Bingo mit Aufregung zu tun hat.“
    „Kommt drauf an, was man daraus macht. Wir können eine Wette abschließen. Wenn ich gewinne, musst du mit mir was trinken gehen. Oder wie wäre es damit? Du musst für den