Julia Sommerliebe 0020
bist in Südafrika und fotografierst Wildkatzen? Was um alles in der Welt bringt einen begnadeten Wildtierfotografen dazu, Designermode abzulichten?“
Judd hatte Abby immer damit aufgezogen, dass sie in der Modebranche arbeitete. Seiner Meinung nach war das eine „oberflächliche Szene“, und er interessierte sich überhaupt nicht dafür. Nur irgendetwas oder irgendjemand Wichtiges konnte ihn also dazu bewogen haben, selbst hier zu arbeiten.
„Das werde ich dir noch früh genug verraten.“ Judd imitierte einen Kellner: „Was möchte die Dame trinken?“
„Wie immer, bitte.“
Judd grinste und um seine Augen herum bildeten sich sympathische Lachfältchen. „Das soll ein Test sein, oder?“
„Ganz genau.“
„Trinkst du etwa immer noch dieses scheußliche Gemisch? Wie damals in der Highschool? Wie furchtbar.“
„Genauso furchtbar wie die Tatsache, dass du dich noch daran erinnerst“, neckte Abby. Plötzlich musste sie lächeln, als sie an Judds alberne einzeilige Postkarten dachte. Nie hatte er auf einer seiner zahlreichen Reisen vergessen, ihr eine zu schicken. Was er wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie jede einzelne aufgehoben hatte?
Judd wandte sich an den Barkeeper: „Wasser mit einem Schuss Limonensirup für die Dame und ein Bier für mich. Danke.“
„Und, hab ich bestanden?“, fragte er mit einem Grinsen.
„Du hattest schon immer ein gutes Gedächtnis“, lobte Abby. Insgeheim war sie beeindruckt, aber das behielt sie lieber für sich. „Jetzt verrat mir endlich, was dich hierher führt.“
„Die glückliche Fügung hast du einer Freundin von mir zu verdanken. Sie hat mich gebeten, ihr den Gefallen zu tun und den Job anzunehmen. Sie wollte sich damit bei Marc Pyman bedanken, der ihr schon einige Aufträge vermittelt hat. Deshalb bin ich hier.“
Während Judd die Getränke entgegennahm, wiederholte Abby seine Worte im Stillen.
Eine Freundin. Er hatte eine Freundin gesagt.
Wer war diese mysteriöse Frau, auf die Judd offenbar so große Stücke hielt, dass er ihr zuliebe zum Modefotografen mutierte? Seit er Pier Point verlassen hatte, war es noch niemandem gelungen, ihn seine Wildtierleidenschaft auszutreiben.
Betont lässig nippte Abby an ihrem Glas.
„Kenne ich diese Freundin?“
„Wahrscheinlich. Paula macht eine Menge für Finesse.“
„Paula? Das australische Supermodel? Ja, wir haben ein paar Mal zusammen gearbeitet. Sie ist nett. Ich wusste nur nicht, dass ihr euch kennt.“
Judd trank einige Schlucke seines eiskalten Bieres. Zum Glück bemerkte er nicht, wie verärgert Abby darüber war, dass Paula so einen großen Einfluss auf ihren besten Freund hatte.
„Ich war in Südamerika, wo ich eine Fotostrecke über Anakondas gemacht habe. Danach bin ich einige Tage in Rio gewesen. Und dort habe ich Paula bei einem Bikinishooting kennengelernt.“
„Das hast du nie erzählt.“ Abby bemühte sich, ganz ungezwungen zu klingen. Es gelang ihr nicht wirklich. Aber wieso sollte Judd ihr eigentlich Rechenschaft darüber ablegen, mit wem er sich traf?
Judd zuckte die Achseln, und sofort wurde Abbys Aufmerksamkeit auf seine breiten Schultern gelenkt. Er war schon immer muskulös gewesen, doch jetzt wirkte er richtig durchtrainiert. Abby erinnerte sich wieder daran, wie er sich angefühlt hatte, an jenem Abend vor mehr als acht Jahren.
„Paula ist eine tolle Frau. Wir haben viel gemeinsam.“
„Ach ja?“
Es gelang Abby nicht, ein verächtliches Naserümpfen zu unterdrücken. Es war die pure Eifersucht. Bisher hatte ihr jede von Judds Eroberungen einen Stich versetzt, und insgeheim war sie jedes Mal überglücklich gewesen, wenn seine Beziehungen schon nach wenigen Wochen wieder in die Brüche gingen.
Natürlich hatte auch sie in der Zwischenzeit einige Männer kennengelernt. Aber es war nie der Richtige dabei gewesen, und letztendlich war es immer Judd gewesen, dem Abby von ihren Fehlgriffen berichtete. Manchmal hatten sie gemeinsam stundenlang über ihre Pannen und unmöglichen Verabredungen gelacht.
Warum nur verursachte ihr die Vorstellung, dass Judd mit dieser langbeinigen Paula ausging, einen so bitteren Geschmack im Mund? Vielleicht lag es ja nur an dem säuerlichen Limonenwasser, das sie gerade trank.
Wahrscheinlich.
Doch Abby kannte den wahren Grund: Obwohl ihm diese Frau angeblich nichts bedeutete, unterbrach Judd ihretwegen seine Reisen und kehrte zum ersten Mal seit Jahren wieder in die Heimat zurück. Das konnte kein gutes Zeichen sein.
„Ja.
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