Julia Sommerliebe 0023
erschütterten. „Ich hatte wirklich noch nie etwas von Ihnen gehört.“
„Sie nicht, dafür aber fast ganz Italien. Und das habe ich meinem Vater zu verdanken, Georgio Filametti! Er war übrigens vor diesen vielen Skandalen ziemlich berühmt – und beliebt. Als kleiner Junge habe ich das gar nicht gemerkt. Wenn man ein Kind ist, nimmt man alles als selbstverständlich hin und kommt gar nicht erst auf den Gedanken, dass es auch ganz anders sein könnte. Weil man nie etwas anderes kennengelernt hat.“
„Na ja, in Ihrem Fall trifft das vielleicht zu“, wandte Zoe ein. Bei ihr selbst war es allerdings anders gewesen. Schon als kleines Mädchen hatte sie gewusst, dass ihre Kindheit nicht ganz normal verlief. Es war ihr immer sehr unnatürlich vorgekommen, dass ihre Mutter so ruhelos von einer Stadt zur nächsten zog. Keines der anderen Kinder musste so oft umziehen und die Schule wechseln wie sie.
„Mein Vater hatte alles, was man sich nur wünschen konnte“, sagte Leandro. Er klang angewidert. „Er hatte eine edle Herkunft, wurde umschwärmt und bewundert, dazu war er auch noch intelligent und fleißig. Eigentlich hätte er keinen Finger krumm zu machen brauchen, trotzdem hat er immer hart gearbeitet. Er war im Finanzwesen tätig und hat sich nicht auf dem Vermögen der Familie ausgeruht.“
„Das klingt doch so, als wäre er ein guter Mensch gewesen“, sagte Zoe, nachdem Leandro wieder eine Weile geschwiegen hatte.
„Ja, das dachte ich auch zuerst“, stimmte er ihr zu. „Bis er mir … uns … und schließlich ganz Italien das Gegenteil bewiesen hat.“
Dazu sagte Zoe erst mal nichts. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Leandros Vater so Unverzeihliches getan hatte.
Aber dann sagte er es ihr. Er holte tief Luft und sprach jedes einzelne Wort deutlich aus: „Er hat alles verloren“, sagte er. „Alles weggegeben. Und wofür? Für ein paar heiße Nächte, mehr nicht.“
Zoe erschauerte. Sie wusste zwar immer noch nicht so genau, was geschehen war, aber seine Worte trafen sie wie ein persönlicher Vorwurf.
„Wie meinen Sie das?“, hakte sie nach.
„Mein Vater war gewissermaßen süchtig“, erklärte Leandro kühl. „Süchtig nach Frauen nämlich. Nach billigen, geldgierigen Frauen, die zwar gut aussahen, aber trotzdem aus der Gosse kamen.“
„Dann hatte er also … mehrere Affären?“, hakte Zoe nach, und Leandro lächelte freudlos.
„Das waren nicht bloß einfache Affären! Der Mann war krank und besessen von seinen Trieben. Und diese Frauen haben das beinhart ausgenutzt. Sie haben ihm alles genommen, was er hatte. Damit meine ich nicht nur sein Geld, sondern vor allem seine Würde und Selbstachtung. Sein Geschäft ging den Bach runter, daraufhin hat er Geld veruntreut. Und eine seiner Geliebten hat ihn erpresst. Irgendwann ist alles über ihm zusammengebrochen. Es gab einen riesigen Artikel in der Zeitung mit mehreren kompromittierenden Paparazzi-Fotos.“
Leandro verzog das Gesicht. „Das konnte mein Vater nicht ertragen. Es war ihm einfach zu viel, und um nicht zugrunde zu gehen, hat er die einzige mögliche Konsequenz in dieser Situation gezogen: Er ist mit dem ganzen restlichen Geld nach Monaco verschwunden und hat meine Mutter hier einfach sitzen lassen.“
„Und was war mit Ihnen?“, erkundigte sich Zoe leise. „Wie alt waren Sie, als das passiert ist?“
Die Frage schien ihn zu überraschen. „Dreizehn“, sagte er.
Zoes Herz zog sich zusammen. Mit dreizehn hatte Leandro kurz davor gestanden, ein Mann zu werden – und war doch immer noch ein Kind gewesen. In dieser Zeit hätte er einen Vater gebraucht, zu dem er aufblicken konnte, ein Vorbild. Keinen verantwortungslosen Weiberhelden! „Und was ist dann passiert?“, fragte sie.
Leandro zuckte mit den Schultern. „Seitdem hatten wir keinen Kontakt mehr. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Und seit er sie verlassen hatte, hat sie ihren Mann nicht wiedergesehen. Seltsam war, dass sie meinen Vater trotzdem nicht gehasst hat. Und das, obwohl er sie vor ganz Italien lächerlich gemacht, sie mit den Kindern und ohne finanzielle Mittel sitzen gelassen hat.“
Sie brauchte ihn auch nicht zu hassen, dachte Zoe. Leandro trug genug Hass für beide in sich! Und trägt ihn immer noch in sich.
Sie fand seine Geschichte unendlich traurig. Und besonders tragisch erschien es ihr, dass er jetzt den Palazzo verkaufen wollte. Damit trennte er sich doch von den wenigen schönen Kindheitserinnerungen, die er noch
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